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Aktivismus

Safe Spaces – über das Gefühl (nicht) am richtigen Platz zu sein

Gastbeitrag von Paul Prost gemeinsam mit Felix Lene Ihrig

In einigen unserer Beiträge haben wir über aktivistische Bewegungen, FLINTA -Veranstaltungen und Inklusion im feministischen Kontext geschrieben. Der Diskurs über queerfeministische Schutzräume ist durch eine Vielzahl an Perspektiven und Spannungsfeldern geprägt. Wer kann sich wann und wo sicher fühlen? Und wie genau wird dieses Sicherheitsgefühl erreicht? Da sich aus der Thematik viele Diskussionspunkte ergeben, wollen wir heute eine Perspektive aufgreifen, die sich im Kernteam des FUQS-Blogs nicht wiederfindet : Die eines endo cis Mannes, welcher sich aus einer Außenperspektive mit queeren und feministischen Lebenswelten und Ansätzen auseinandersetzt. Hierfür haben Felix aus dem Kernteam und Paul Prost mehrere Gespräche geführt, sowie Ideen und Fragen ausgetauscht. Am Ende ist dieser Text entstanden, der mit einer Mischung aus wissenschaftlichen Informationen, persönlicher Geschichte und humorvollem Hinterfragen gängiger Praxen zur Reflexion anregen soll.

Die Geschichte der Schutzräume

Schon seit vielen Jahrzehnten gibt es in feministischen Kreisen Schutzräume (sogenannte Safe Spaces), die bestimmten Gruppen vorbehalten sind, um freien Austausch gewährleisten zu können. Schutzräume als politische Instrumente sind durch gemeinsame Erfahrungen von „sexistischer Gewalt und dem Gewahr werden struktureller Machtungleichheit“ entstanden.1 Sie sollen vor sexualisierter Gewalt und patriarchalen Strukturen schützen, und so einen Raum schaffen, in dem nicht gegen alltägliche Sexismen gekämpft werden muss. Eine Möglichkeit dafür ist Gleichheit unter den Anwesenden zu schaffen. Dies war zu Beginn einfach die Gleichheit der Frauen, welche mit der Zeit immer integrativer gegenüber inter und trans Menschen wurde. Durch diesen Rahmen entsteht die Möglichkeit, neue Verhaltensweisen zu kreieren, Empowerment und Solidarität zu stärken und politische Identität sowie gemeinsames politisches Handeln zu bilden. Doch beispielsweise kämpfen lesbische Frauen in Schutzräumen für Frauen darum, gesehen zu werden.2  Trans Personen werden an manchen Orten gerne inkludiert, an anderen wiederum als Störfaktor für das Sicherheitsgefühl gesehen.3 Zunehmend werden intersektionale Perspektiven genutzt, die Verschränkungen verschiedener Diskriminierungsformen an diesen Orten mitdenken.4 In diesem Kontext wird meist von FLINTA Räumen geredet.

Pauls Vorgeschichte

All das Wissen, das in queerfeministischen Kreisen existiert, musste ich mir erst einmal aneignen. „Rassismus gegen weiße Menschen gibt es nicht.“ „Frauen werden immer noch systematisch unterdrückt.“ Jaja… Ich erinnere mich an hitzige Debatten mit meiner feministischen großen Schwester. Zum Zeitpunkt dieser Debatten war ich 17 Jahre alt. Jung, naiv und hauptsächlich am nächsten Bier interessiert. Und trotzdem hielt ich mich für ganz schön schlau. Schließlich hatte ich schon so viele Bücher gelesen und Filme geschaut. Die Erklärungen meiner Schwester, dass das Geschlecht nichts mit dem zu tun hat, was wir zwischen den Beinen haben, hielt ich für Nonsens. Dass meine Eltern das genau so wenig verstanden wie ich, hat sicherlich nicht geholfen.

Sich fehl am Platz fühlen

Mit 19, zu Beginn meiner Lehre, kam ich dann mit Kreisen in Kontakt, welche die Haltung meiner Schwester teilten. Mit meinem neuen Wissen über Frauen und Politik bin ich später nach Österreich gezogen und habe mich das erste Mal so richtig fremd gefühlt. Ich war auf einmal einer dieser „scheiß Deitsch’n“ und wollte keine 54 Stunden pro Woche arbeiten, ich „Weichei“. Außerdem kam es mir unpassend vor, Frauen hinterher zu pfeifen, abfällige Bemerkungen zu machen oder das N-Wort zu sagen.

Über dieses Gefühl, fehl am Platz zu sein, zu reden fiel mir aber schwer. Es war für mich mit Scham behaftet, auch wenn ich damals noch nicht verstand wieso. Es schien, als müsste ich jeden Moment bereit sein, meine Existenz und meine Denkweise zu rechtfertigen, und mich gegen die geballte Kraft von testosterongesteuerten Menschen zu wehren. Es war verstörend, Kellnerinnen zu sehen, die den „Spaß“ mitmachen, weil sie nicht wussten, wie sie sonst in diesem Umfeld überleben sollten. Es gab Spülhilfen und Küchenhilfen, oft mit Migrationshintergrund, die nur akzeptiert wurden, weil sie jahrelang den Kopf eingezogen hatten und alles taten, was von ihnen verlangt wurde. Die Gespräche mit meiner Schwester kamen mir in den Sinn. Davon hatte sie also geredet: die für mich vorher unsichtbare, aber nach wie vor aktuelle Diskriminierung – und ich mittendrin.

Nach 5 Monaten stand mein Weltbild auf dem Kopf und mein Selbstbewusstsein war enorm geschrumpft. Ich kündigte und beschloss, etwas ganz anderes zu machen – ein Philosophiestudium. Und all die unangenehmen Gefühle verschwanden. Ich fand Menschen, von denen ich respektiert wurde und lernte die theoretischen Hintergründe von all den Dingen, die ich beobachtet und empfunden hatte. Es schien, als hätte ich meinen Platz gefunden und wäre Teil einer wichtigen, emanzipatorischen Bewegung.

Ein weißer endo cis Mann fühlt sich diskriminiert

Der Auftritt einer Künstlerin aus meinem Kollektiv auf einer FLINTA-Demo brachte ein Jahr später meinen inneren Kampf noch einmal zum Vorschein. Wegen der Veranstaltungsregeln durften die cis Männer aus unserer Gruppe nicht als Support zu ihrem Konzert kommen. Einer aus der Gruppe schimpfte: „Was soll denn der Mist. Keine cis Männer. Das ist doch Diskriminierung! Die kämpfen gegen Ausschluss und schließen dann selbst Leute aus? Als ob ich die Verkörperung allen Übels bin. Aber wir sollen nicht generalisieren.“ Ein Teil von mir versteht was er sagen wollte, aber zustimmen konnte ich ihm trotzdem nicht.

Die Diskussion hat mich noch eine ganze Weile beschäftigt. In der Zwischenzeit schenkte mir meine Schwester ein Buch. „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay. Sie erzählt darin von ihrem Leben und von dem vieler ihrer Mitstreiterinnen: Demütigung, Ausschluss, Fremdheitszuschreibung, uvm. – wieder und wieder, von der Kindheit bis heute.

Ich erinnerte mich wieder an meine Scham als ich hierherkam. Ich habe mich 5 Monate lang fremd gefühlt, obwohl ich hauptsächlich die Diskriminierung anderer Menschen beobachtet und mein Erleben mit den Erfahrungen von Menschen verglichen habe, die aufgrund existentieller Abhängigkeit nicht einfach kündigen wie ich können. Menschen, die keine finanzielle Absicherung durch ihre Familie im Hintergrund haben, bis sie ein Umfeld finden, in dem sie sich geborgen fühlen.

Pauls Fazit

Was ich manchmal als weißer endo cis Mann empfinde, kommt nicht im Entferntesten an die systematische Unterdrückung von Menschen heran, die aufgrund von Rassifizierung, Sexualität, Religion, Behinderung oder Geschlechtsidentität diskriminiert werden. Was ich inzwischen gelernt habe, ist, dass ich NICHT weiß, wovon sie reden. Auch wenn ich mich ausgeschlossen fühle, weil ich einmal für ein paar Stunden nicht an einen bestimmten Ort darf, steht mir sonst doch die Welt offen. Ich finde, ich habe kein Recht, mich über diesen Ausschluss zu beschweren. Ich fühle mich nicht dazu berechtigt, andere darin zu kritisieren, wie sie für ihre Gleichstellung kämpfen und sich den Raum nehmen, um sich frei auszudrücken. Das Einzige, zu dem ich mich berechtigt fühle, ist diesen Text zu schreiben und mir meine Privilegien einzugestehen. Ebenso wie meine Emotionen dazu, Teil einer Gesellschaft zu sein, die systematische Unterdrückung nach wie vor nicht genügend thematisiert, und in der FLINTA Personen sich safe_r spaces erkämpfen müssen.

Ein Blick in die Zukunft?

Wir, Paul und Felix, haben viel über die Frage diskutiert, ob safe spaces, die den Ausschluss der machtvollen Gruppe beinhalten, wirklich helfen, queerfeministische Ziele zu erreichen. Sicherheitsgefühl und Empowerment sind nach wie vor wichtige Aspekte des queerfeministischen Aktivismus. Auf lange Sicht brauchen wir dennoch alle an Gesellschaft beteiligten Menschen, um Gleichberechtigung herstellen zu können.

Ein anderer Ansatz, für Sicherheit zu sorgen, wäre, sich auf das Verhalten der Anwesenden zu fokussieren und umfangreiche Leitfäden bzw. Verhaltensregeln sowie Awareness-Teams bereitzustellen. In diesem Fall müssen zum Wohle des allgemeinen Sicherheitsgefühls – und um „Raum für Begegnung und voneinander Lernen“   zu schaffen – gewisse Privilegien hinterfragt und aufgelöst werden. Allerdings ist zu erwähnen, dass in diesem Sinne nicht von einem „safe space“, sondern lediglich von „safer spaces“ geredet wird.

Die Exklusion privilegierter, machtvoller Teile der Gesellschaft kann zum Sicherheitsgefühl beitragen. Im Kontext FLINTA soll dies helfen, die „Selbstverteidigung und Selbstorganisation von Frauen, trans und inter Personen in den Mittelpunkt zu stellen“ sowie ihre Subjektivitäten anzuerkennen, um den Kampf, die Organisation und den Widerstand zu ermöglichen und das patriarchale, heteronormative System aktiv zu attackieren.5  Hieraus resultieren Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung, auch Empowerment genannt. Nach Turner und Maschi (2015)6 sowie Guitérrez (1990)7 ist Empowerment ein Prozess der Stärkung der persönlichen, zwischenmenschlichen und politischen Macht von marginalisierten Menschen. Das ist also nach wie vor notwendig und für einige Veranstaltungen sicherlich hilfreich. Zum Beispiel als Austauschabende wie es sie in Innsbruck gelegentlich gibt (siehe Beitrag 17.5) Doch werden nicht sämtliche Privilegien und Diskriminierungsmechanismen in der Schaffung eines Schutzraumes bedacht, ist erneuter Ausschluss die Konsequenz. Es muss nicht nur die Ignoranz der anderen bedacht werden, sondern von Anfang auch die eigene.

Da jedoch durchaus auch endo cis Männer durch patriarchale Strukturen beeinflusst werden und einige von ihnen feministische Standpunkte nicht nur nachvollziehen, sondern auch vehement vertreten können, ist es – ganz im Sinne eines starken, zukunftsfähigen Feminismus – durchaus wünschenswert zunehmend mehr Räume zu schaffen, in denen wir uns Seite an Seite für queerfeministische Ziele einsetzen und aufeinander Acht geben. Demonstrationen, Parties aber auch Gesellschaft allgemein, als safer spaces sozusagen.

Quellen:

1, 2 Kokits, Maya Joeel; Thuswald, Marion. gleich sicher? sicher gleich? Konzeptionen (queer) feministischer Schutzräume. FEMINA POLITICA 2015 (1), S. 83–93.

3 Schuster, Nina. Andere Räume. Soziale Praktiken der Raumproduktion von Drag Kings und Transgender. Bielefeld: transcript Verlag, 2010.

4 Koktis u. Thuswald. 2015.

5 Alliance of internationalist feminist*s – Berlin. 2021. Online verfügbar unter https://international8thmarchberlin.blogspot.com/?m=1.

6 Turner, Sandra G.; Maschi, Tina M. Feminist and empowerment theory and social work practice, 2015

7 Guitérrez, Lorraine M. Working with women of color: an empowerment perspective. Social Work 35 (1990), S. 149–153.

Link zu „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay: Sprache und Sein – Bücher – Hanser Literaturverlage (hanser-literaturverlage.de)

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