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Denise Bergold-Caldwell über Intersektionalität und Schwarzen Feminismus in globalen Krisenzeiten

Interview von Julia Brader mit Denise Bergold-Caldwell

ein Kugelschreiber liegt auf einem Notizblock. das gesamte Bild und der Untergrund sind unscharf und schimmern in rot-orangenem Licht.
© Pexels.com

Denise Bergold-Caldwell ist seit 01. April 2022 Universitätsassistentin am CGI der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Schwarze feministische, de-, post- und antikoloniale Theorien und ihrer kritischen Verwendung in der Gesellschaftslehre. Wir haben sie getroffen und sie zu ihrer aktuellen Arbeit am CGI befragt.

1. Denise, jetzt bist du ja seit 01. April als Universitätsassistentin am CGI. Was sind denn deine Forschungsschwerpunkte bzw. was machst du am CGI?

Meine Forschungsschwerpunkte beziehen sich auf Schwarzen Feminismus sowie auf de- und postkoloniale queer-feministische und kritische Gesellschaftstheorien. Vor dem Hintergrund dieser Theorien beschreibe ich Subjektivierungs– und Bildungsprozesse. Mir geht es beim Stichwort ‚Subjektivierung‘ um Prozesse, die eine Anerkennung als Subjekt nach sich ziehen. Judith Butler (2001)1 hat das für Geschlecht in Bezug auf Heteronormativität und die heterosexuelle Matrix formuliert und verdeutlicht, wie sich die Ausrichtung an Normen in der Psyche verankert. Mir geht es darüber hinaus um Fragen nach der „Kolonialität der Macht“2 und der „Kolonialität von Gender“3. Der Begriff ‚Kolonialität‘ soll verdeutlichen, dass wir es mit einem nach wie vor wirksamen Macht- und Herrschsystem zu tun haben, das aus dem Kolonialismus heraus entstanden und weltweit wirksam ist. Für Subjektivierungsprozesse bedeutet dies: Sie sind von diesen Machtverhältnissen geprägt. Bildungsprozesse verstehe ich als Transformations- oder Veränderungsprozesse des Selbst, anderer Personen und der Welt. Sie wirken vermittelnd zwischen diesen Punkten. Deshalb kann kritisch-politische Bildung ein mehr an Solidarität, Demokratie und Miteinander herstellen. Diesen Prozessen möchte ich mich während meiner Anstellung am CGI widmen und sie zusammen mit einer antikolonialen Sorge- oder Care-Arbeit denken.

2. Deine Forschung hat also viel mit Geschlecht und seiner Kolonialität zu tun. ‚Intersektionalität‘ spielt in diesem Zusammenhang auch eine Rolle. Könntest du kurz erklären, was unter dem Begriff verstanden wird und in welchem Kontext er entstanden ist?

Gerade in Zusammenhang mit kolonialen Kontinuitäten können wir sagen, dass Menschen, die Rassismus erfahren, häufig von mehreren Ungleichheitsverhältnissen ‚betroffen‘ sind. Und genau das wird unter dem Stichwort ‚Intersektionalität‘ verstanden: Verschiedene Verhältnisse der Ungleichheit greifen ineinander und bringen so einen begrenzten Handlungsspielraum für diese Menschen hervor. Unter dem Stichwort ‚Verhältnisse‘, werden zum Beispiel  Klassen- oder Geschlechterverhältnisse, aber auch Verhältnisse des Begehrens und von Be_hinderung verstanden. Meist greifen sie ineinander und bedingen, dass bspw. eine Schwarze Frau* mit Behinderung in Armut leben muss. Das Combahee River Collective4 hat in den 1970er Jahren das Ineinandergreifen (Interlocking) dieser Verhältnisse und die hieraus entstandenen abgewerteten Identitäten zum politischen Thema gemacht. Die Sozialistinnen haben für eine Abschaffung und Veränderung des Systems gekämpft. Kimberlé Crenshaw hat – aufbauend auf verschiedenen Versuchen, die Situation von Mehrfachmarginalisierten zu theoretisieren – Ende der 1980er Jahre schließlich den Begriff ‚Intersektionalität‘ geprägt. In ihrem Artikel „Mapping the Margins. Intersectionality , Identity Politics and Violence against Women of Color“ (1991)5 verdeutlicht sie, dass Schwarze Frauen und Women of Color im Rechtssystem der Vereinigten Staaten von Amerika keine Berücksichtigung finden. Der Begriff ‚Intersektionalität‘ wird heute vielseitig verwendet und das manchmal leider auch, ohne dabei Macht- und Herrschaftsverhältnisse infrage zu stellen.6

3. In deinem Vortrag, den du im Rahmen der 71. Innsbrucker Gender Lecture am 03.Mai.2022 halten wirst, geht es unter anderem um vergeschlechtlichte und rassifizierte  Körper, die durch bestimmte Machtverhältnisse und Kontexte hervorgebracht werden. Inwiefern stehen Care und der rassifizierte Körper in Zusammenhang und in welchen Bereichen spielen (post-) koloniale Ordnungen und Geschlecht deiner Meinung nach noch eine große Rolle?

Aus meiner Perspektive spielt eine koloniale Kontinuität, also das Fortbestehen der damals entstandenen Machtstrukturen, immer eine Rolle: Sie prägt das Leben von Menschen, die davon profitieren und Menschen, die darin benachteiligt sind. Natürlich geschieht das jeweils auf unterschiedliche Weise: Beispielsweise leben wir im „Westen“ häufig auf Kosten ärmerer Länder des globalen Südens, aber auch anhaltende rassistische Gewalt im globalen Norden ist ein Teil dieses Problems.  Eine koloniale Kontinuität sehen wir in vielen Bereichen: bei anhaltenden rassistischen Benachteiligungen und Übergriffen im globalen Norden aber auch durch Überausbeutung von Ländern des globalen Südens. Zudem sichtbar ist dies durch eine ungleiche Ressourcenverteilung und eine große Betroffenheit durch den Klimawandel in Ländern, die dafür nicht hauptverantwortlich sind.Durch all diese Verhältnisse entsteht eine Situation, die insbesondere Schwarze Frauen und Women of Color marginalisiert. Diese Umstände führen zu verfrühtem Tod, Krankheiten, schwierigen Lebensbedingungen und vielem mehr. Trotz all dieser Widrigkeiten schaffen es Schwarze Bewegungskontexte und insbesondere queer-feministische Kontexte, eine Art Füreinander herzustellen. Deshalb geht es mir beim Begriff ‚Care‘ nicht nur um Fragen der alltäglichen Fürsorge oder einer Fürsorge im beruflichen Sinne, sondern um Care als Perspektive der Zuwendung, des Zuhörens, des Haltens, der Aufarbeitung historischer Traumata, der Unterstützung in Verarbeitungsprozessen und der Transformation. Christina Sharpe (2016)8 hat in ihrem Buch: „In the wake. On Blackness and beeing.“ beschrieben, dass wir uns nach wie vor im ‚Kielwasser‘ des Kolonialismus und des Transatlantischen Sklavenhandels befinden. Wir werden nach wie vor a l l e von diesen historischen Dimensionen und Strukturen geprägt. Es geht mir darum, eine Wake-Arbeit wie Sharpe sie beschreibt, in ihrer tiefen Dimension als Care-Arbeit zu verstehen und sie als wichtiges Element (auch) in der pädagogisch-politischen Bildung hervorzuheben.

4. Welche Probleme siehst du in Zusammenhang mit der Covid-Pandemie in Bezug auf Schwarzen, feministischen Aktivismus? Inwiefern haben transnationale Bewegungen wie der (Hashtag) #BlackLivesMatter durch die Pandemie an Aufmerksamkeit verloren?

Durch die Black-Lives-Matter-Bewegung sehen wir in den letzten Jahren vor allem die strukturelle Gewalt, die Schwarzen Leben widerfährt. Ich würde sagen, dass die Pandemie die globale Vernetzung teilweise kanalisiert hat, da diese durch die Pandemie und die damit einhergehende Digitalisierung gestiegen ist. Aber die tatsächliche Arbeit vor Ort – das haben wir nach den rassistischen Morden in Hanau gesehen – wurde unglaublich eingeschränkt und erschwert. Zudem waren arme und benachteiligte Menschen besonders stark von der Pandemie betroffen, was einerseits am Gesundheitssystem liegt (auch hier gibt es rassistische Diskriminierungen) und anderseits daran, dass Menschen, die in armen Verhältnissen leben, nicht unbedingt die erforderlichen Ressourcen hatten, um sich zu schützen. Deshalb würde ich sagen: Die Pandemie hat sich auf Schwarze (feministische) Bewegungskontexte mehrfach ausgewirkt: Die Arbeit vor Ort und mit tatsächlichen Begegnungen wurde sehr erschwert, die Aufmerksamkeit für wichtige Auseinandersetzungen mit Themen wie den Morden in Hanau aber auch die Solidarität mit Geflüchteten an Europas Außengrenzen nahm rapide ab.

5. Man liest immer wieder davon, dass Schwarze Menschen an der Flucht aus der Ukraine gehindert oder zumindest an der Grenze einer rassistischen Diskriminierung ausgesetzt sind. Kannst du darüber mehr erzählen? Was hat das mit deiner Forschung zu tun?

Nicht nur an den Grenzen erfahren Geflüchtete, die keine ukrainische Passzugehörigkeit haben oder Ukrainer*innen of Color sind, Diskriminierung. Auch beim Zugang zum deutschen  Bildungssystem (bspw. der Universität) werden sie ungleich behandelt. Sie werden häufig dazu angehalten, in die Staaten zurückzukehren, aus denen sie kommen –  auch wenn ihnen das nach ihrer Flucht vor dem dort herrschenden Krieg (mit all den Konsequenzen, die eine solch plötzliche Flucht haben kann) nur schwer möglich ist. Zudem lebten in der Ukraine viele Menschen bspw. Sintezza und Romnja, die aufgrund von staatlichen Diskriminierungen keine Pässe und Zugehörigkeiten hatten. Sie erfahren hier ‚Racial Profiling‘ und bekommen wegen der fehlenden Passzugehörigkeit kaum staatliche Anerkennung.  In Zusammenhang mit den Fluchtbewegungen haben sich viele Schwarze Organisationen zusammengefunden und Netzwerke gegründet, die Menschen, welche die oben beschriebenen Marginalisierungen erfahren, auf der Flucht helfen, indem sie bspw. Unterkünfte organisieren, Unterstützung bei bürokratischen Verfahren geben und rechtliche Beratung einholen. Neben den großen zivilgesellschaftlichen Unterstützungen von Menschen, die mit Passzugehörigkeit aus der Ukraine flüchten, sind diese Netzwerke besonders darauf fokussiert, Menschen mit rassistischen Traumata zu helfen, diese zu verarbeiten und Informationen zu sammeln, wie sie trotz struktureller Diskriminierung eine Bleibe finden können. Es ist diese Carearbeit, diese aufwendige politische Solidarität, die ich als Mensch und aktivistische Person unterstützen möchte und die ich als Wissenschaftlerin als Möglichkeitsdimension von Care verstehen möchte.

Quellen:

1Butler, Judith. Psyche der Macht: Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001.

2Quijano, Aníbal/Ennis, Michael. „Coloniality of Power, Eurocentrism and Latin America“. International Sociology 1, Nr. 3 (2000), 533–580.

3Lugones, María. „The Coloniality of Gender“. In The Palgrave Handbook of Gender and Development, hrsg. v. Wendy Harcourt, S. 13–33. Palgrave: Macmillan UK, 2016. https://doi.org/10.1007/978-1-137-38273-3_2

4Combahee River Collective. o.A. „The Combahee River Collective Statement“. Zugriff 20.04.2022. https://americanstudies.yale.edu/sites/default/files/files/Keyword%20Coalition_Readings.pdf

5Crenshaw, Kimberlé. „Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics and Violence against Women of Color“. Stanford Law Review 43, Nr. 6 (1991), S. 1241–1299. https://www.jstor.org/stable/1229039

6Nash, Jennifer Christine. Black feminism reimagined: After intersectionality. London/Durham: Duke University Press, 2019.

7Interessant ist hierzu ein Interview, das Vanessa E. Thompson, Christine Löw und Denise Bergold-Caldwell mit Hakima Abbas, Maisha Auma, Noémi Michel und Margo Okazawa-Rey geführt haben (siehe https://www.budrich-journals.de/index.php/feminapolitica/article/view/38791).

8Sharpe, Christina. In the Wake. On Blackness and Being. London/Durham: Duke University Press, 2016.

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