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Feministische Erkenntnisheorie und kritische Sozialforschung – wie stehen beide zueinander?

Ein Gastbeitrag von Helen Liebetanz

Symbolfoto©️Gaurav von GS Digital Studio

Feministische Themen und Perspektiven prägen unseren Alltag, unabhängig davon, ob dies nun aktiv oder passiv passiert. Sie sind wichtig und bekommen oftmals nicht die
Anerkennung, die sie verdient haben. Deutlich wird das in der Art und Weise, wie z.B. antifeministische, rechtsextremistische und sexistische Äußerungen, ohne viel Reflexion in alltäglichen Gesprächen aufgebracht werden. Es gibt eine Menge negativer Reaktionen, Haltungen und Meinungen demgegenüber dem. Nicht nur aktive Taten, wie z.B. Femizide, sind politisch, kulturell und antifeministisch geprägt, sondern auch das Wissen darüber.

Studierende, wie ich, des Masterstudiengangs Gender, Kultur und sozialer Wandel sind mit diesen Dynamiken auf besondere Weise konfrontiert. Wir setzen uns im Studium mit geschlechtertheoretischen Themen und feministischer Erkenntnistheorie auseinander. Wir lernen über Haraways Konzept den God-Trick, welchen sie mit seiner dazugehörigen Problematiken erklärt. Ihre Kritik an ihm ist, dass Wissen nicht objektiv sei. Westliche Ideale und von Cis-Männern produziertes Wissen delegitimiert das Wissen von marginalisierten Personengruppen und nutzt dies, um sie unsichtbar zu machen und dort zu halten.1

Auch Spivaks Theorie zur epistemischen Gewalt aus ihrem Buch Can the Subaltern speak? ist von Notwendigkeit. Epistemische Gewalt nach Spivak bedeutet, marginalisierte Gruppen kein Zuhören zu schenken und sie systematisch zu ignorieren und unterdrücken. Dies wird mit den Konzepten anderer Theoretikerinnen wie Haraway, Harding, Hill Collins und Crenshaw in Verbindung gebracht.2 Wie so häufig wird sich gegenseitig weiter ergänzt, was das Wissen zu den Themen erweitert. Somit zeigt uns die feministische Wissensproduktion vielfältige Positionalitäten und nicht nur eine Perspektive als die einzige Wahrheit.

Dies bringt mich zurück zur Frage des Essays. Diese war für mich ansprechend, da sie meiner Meinung nach so gestellt wurde, dass die zwei Bereiche, also Feministische Erkenntnistheorie und kritische Sozialforschung, getrennt voneinander dargestellt werden.

Trotz dessen sind sie nicht getrennt voneinander zu denken. Dies schreiben auch Porter, Sulé und Croom in ihrem Kapitel APPLYING BLACK FEMINIST EPISTEMOLOGIES, RESEARCH, AND PRAXIS.3

Die Positionalität einer Person ist von großer Bedeutung, wie Haraway uns mit ihrer Theorie der situated knowledges näherbringt. Uns muss bewusst sein, wie Wissen produziert wird und aus welcher Positionalität dies entsteht. Die Ausführung von kritischer Sozialforschung funktioniert nur wenn wir das mit Haraways Theorien und auch die Theorien ihrer Kolleginnen verknüpfen.

Einige Methoden, die zu kritischer Sozialforschung gehören sind, narrative Interviews, teilnehmende Beobachtung, Diskursanalyse und noch viele mehr.4 Dies sind qualitative
Methoden die tiefgründig in Themenbereiche eindringen und das Wissen einzelner Person herauszukristallisieren. Anhand dieser Methoden wird Wissen produziert und es kommen Narrativen zum Vorschein, die sich auf der Basis der zuvor genannten Theorien besser einordnen und analysieren lassen. Sie geben uns ihre Perspektive, die zum ganzen Bild beitragen.

Mit Feministischer Erkenntnistheorie von den Theoretikerinnen, wie Harding, Haraway, Hill Collins etc. wird deutlich, dass die Unterdrückung von Wissen systematisch eingebettet ist und Machtverhältnisse dadurch erhalten bleiben. Das zeigt uns, dass Wissen nicht neutral ist und unsere Positionalität von gesellschaftlichen Strukturen geprägt ist. Die von Dotson in ihrem Text aufgegriffene Theorie, die ursprünglich von Spivak aus Can the subaltern speak? stammt, zeigt das grundlegende Problem innerhalb der feministische Erkenntnistheorie, nämlich epistemische Gewalt. Gemeint ist damit nicht nur die Unterdrückung von Wissen und Wissensproduktion, sondern auch das systematische Ignorieren oder Nicht-Hören von anderen Perspektiven, insbesondere die von diskriminierten Personengruppen, u.a. Frauen, PoCs und Menschen mit Behinderungen.

Diese Art der Gewalt besteht nicht nur in der Theorie oder auf einer Leinwand, sondern erfahren wir in unserem Alltag. Dabei werden diese gemachte Erfahrungen in Frage gestellt und Perspektiven werden somit oftmals als übertrieben dargestellt und dadurch abgewertet.5,6

Um die Frage besser beantworten zu können, möchte ich dies anhand eines Beispiels erklären. Als eine Person, die der Generation Z zugehörig ist und eine Kindheit hatte, die von Film und Fernsehen geprägt und in jungen Jahren schon den sozialen Medien ausgesetzt war, sind Pop-Kultur und Filmanalysen ein Teil von mir. Ich habe eine Faszination für Filme und Serien entwickelt und wie diese Geschichten bildlich die Geschehnisse aus unserem Alltag widerspiegeln. Mit diesem Hintergrundwissen wollte ich anhand von Bildmaterial den Zusammenhang von Feministischer Erkenntnistheorie und kritische Sozialforschung eine Szene aus der Serie The Morning Show nehmen, die genau diese darstellen zu versucht.

Die Serie The Morning Show handelt, wie der Titel schon verrät über eine Frühstückssendung, die in den USA spielt. Was meiner Meinung nach wichtig zu erwähnen wäre ist, dass das Format der Sendung innerhalb dieser Serie keine sehr leichte Kost ist und sich mit schwerwiegenden Themen auseinandersetzt. Ansonsten würde der Kontext fehlen, der im nächsten Absatz relevant ist, für ein vollständiges Bild.

Nun zu der eigentlichen Handlung: Eine neue Reporterin wird als Ersatz für den bisherigen Co-Moderator der Sendung eingestellt, da über ihn Anschuldigungen vorliegen, sexuell übergriffig gegenüber Mitarbeiterinnen innerhalb der Produktion gewesen zu sein. Mit dem Verlauf der ersten Staffel wird den Zuschauerinnen mehr Einblick in die Geschichte gegeben und es wird eine Menge hinter den Kulissen aufgedeckt. Mehr werde ich nicht erzählen, um die Serie nicht zu verderben, falls die Personen, die das hier lesen, die Serie noch schauen werden. Trotzdem bleibt eine spezifische Szene besonders relevant für die Beantwortung der Frage.

Die Szene aus Staffel 1, Folge 4, Minute 39:00 bis 44:00 zeigt uns ein Interview, das die neue Reporterin, mit der von sexueller Gewalt betroffenen Frau führt.7 In dieser Szene wird die Methode des narrativen Interviews verwendet, um die Betroffene sichtbar zu machen und ihr ein Stück Agency zurückzugeben. Ihre Narrative der Geschehnisse wird den Zuschauerinnen vermittelt und ihre Positionalität (die dargestellte Person ist: weiss, cis und hatte einen guten Beruf etc.) wird genutzt, um das Bild über den Täter weiter zu
vervollständigen. Somit zeigt dieses Szene wie kritische Sozialforschung für uns funktionieren kann und die Positionalität, die innerhalb der feministischen Erkenntnistheorie angesprochen wird, Fortschritte bezwecken kann hinsichtlich der feministischen
Wissensproduktion.

Die Machtverhältnisse innerhalb des Sendernetzwerk werden nochmal anhand von Diskursen um die Sendung herum über die Betroffene aufgezeigt. Vor dem Interview diskutieren die Vorgesetzten, ob es eine gute Idee ist der Betroffenen eine Stimme auf Ihrer Sendung zu geben oder, ob es nicht besser wäre die Betroffene zum Schweigen zu bringen. Das der Diskurs davon handelt, dass sie ihr den Mund verbieten wollen, eine Möglichkeit wäre, spiegelt die Positionalitäten der Individuen wider und wie sie innerhalb ihres Systems versuchen ihre Macht zu missbrauchen. Wie anfangs beschrieben, zeigt die Serie nicht nur die Positionalitäten der Hauptprotagonistinnen auf, sondern präsentiert sowohl dem Publikum innerhalb der Serie als auch uns als von außen Zuschauende die systematische Unterdrückung der Wissensproduktion und wie kritische Sozialforschung dem entgegenwirken kann.

Dadurch wird auf einer Meta-Ebene diese Thematik aufgegriffen und zeigt uns, was in der Realität passieren könnte oder was für Maßnahmen ergriffen werden könnten, wenn das in unseren Lebensrealitäten passiert. Ich sage hier bewusst wenn und nicht falls, da dies bereits passiert ist und die Serie basierend auf solchen Geschehnissen geschaffen wurde.8

Daher zeigt die Serie nicht nur, dass wir die Serien, Filme und Sendung, die wir schauen, reflektieren müssen, sondern unter welchen problematischen Machtverhältnissen diese auch produziert werden. Denn oftmals reflektieren Personen, die Fernsehen konsumieren, nicht, welche Bilder ihnen vorgespielt werden. Diese Bilder reproduzieren, Machtverhältnisse, Heteronormativität, Rassismus, Sexismus, und Antifeminismus, weshalb es immer wichtiger wird sich mit den Hintergründen und dem Kontext von Film zu beschäftigen. Denn genau solche Situationen passieren in unserem Alltag und nicht nur auf einer Leinwand und sind Aspekte, über die nicht oft genug gesprochen werden.

Doch wir müssen für einen Moment zurückblicken auf die alltäglichen Diskursen über feministische Themen. Antifeminismus in Film und Pop-Kultur sind Themen mit denen ich mich bewusst erst seit Kurzem beschäftige. Unterbewusst setzte ich mich schon einige Jahre damit auseinader. Mir fällt immer wieder auf, wie oft problematische Inhalte dargestellt werden. Dabei frage ich mich, ob das nur mir auffällt, und den Menschen, mit denen ich studiere, oder ob z.B. eine Sportwissenschaftlerin die gleichen Szenen auf der Leinwand auch kritisch hinterfragen würde.

Denn der Antifeminismus bleibt nicht nur auf Leinwänden, sondern er wandert von unseren Bildschirmen über in gesellschaftliche Diskurse. Diskriminierung ist in unserer Gesellschaft stark verbreitet und war es auch schon immer, jedoch fällt es uns als Studierende des Gender, Kultur und sozialer Wandel Masters mehr und mehr auf. Denn Antifeminismus ist nicht nur eine politische Haltung sondern auch die Ausführung von epistemischer Gewalt.9
Antifeminismus wertet die Stimmen von Frauen* ab und zeigt uns Studierenden, wie wichtig das Zuhören von verscheidenden und marginalisierten Perspektiven ist.

Das zeigt uns, das antifeministische Handlungen im Sinne der feministischen Erkenntnistheorie kein Einzelfall darstellen, sondern tief in unserem Alltag verankert sind.
Antifeminismus habe ich mit als Beispiel ausgewählt, da ich ihn als Gegner der Erkenntnistheorie sehe und er jedoch aus unseren Alltagsdiskursen, Medien und generell Pop-Kultur leider nicht wegzudenken ist. Und es ist die Realität vieler Frauen und marginalisierten Personen, weshalb eine Darstellung, wie es uns in der Szene der Serie The
Morning Show
dargestellt wird, wichtig ist.

Das zeigt, dass wir mit kritischer Sozialforschung und feministischer Erkenntnistheorie arbeiten können, um mögliche Fortschritte hinsichtlich der feministischen Wissensproduktion erreichen zu können. Es ist nicht nur das Verstehen von Strukturen, sondern es sind auch die
Methoden, die wir anwenden, die diese verändern können. So können wir Wissen feministischer gestalten.

Gastautor*in: Helen Liebetanz

Quellen

1Donna Haraway, „Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial
Perspective“, Feminist Studies 14, Nr. 3 (1988): 575, https://doi.org/10.2307/3178066.
2Kristie Dotson, „Tracking Epistemic Violence, Tracking Practices of Silencing“, Hypatia 26, Nr. 2 (2011):
236–57, https://doi.org/10.1111/j.1527-2001.2011.01177.x.
3„Porter et al.Applying Black Feminist Epistemologies Research_ and Praxis“, o. J.
4„Tools und Methoden der qualitativen Sozialforschung – einsetzbar zur Erforschung des Praktikums im
Rahmen des Projekts PEARL“, o. J.
5Dotson, „Tracking Epistemic Violence, Tracking Practices of Silencing“.
6Paige L. Sweet, „The Sociology of Gaslighting“, American Sociological Review 84, Nr. 5 (2019): 851–75,
https://doi.org/10.1177/0003122419874843.
7The Morning Show, Regie von Lynn Shelton, That Woman (Apple TV+, 2019), Serie, 2019- Laufend,
https://www.amazon.de/gp/video/detail/B0DHR3QDSC/ref=atv_hm_hom_c_pEHQ18_6_2?jic=8%7CEgNhbG
w%3D.
8Dana Feldman, „‘The Morning Show’: Season 1 Was Great, Season 2 Is Even Better“, Forbes, zugegriffen 29.
August 2025, https://www.forbes.com/sites/danafeldman/2021/09/15/the-morning-show-season-1-was-greatseason-
2-is-even-better/.
9Imke Schmincke, Verschiedene Begriffe kennzeichnen Widerstände gegen Emanzipation. In seiner aktuellen
Ausformung „Antigenderismus“ ist der Antifeminismus als modernes Krisensymptom zu deuten und gleichzeitig
in seiner Bedrohung demokratischer Werte ernst zu nehmen., 20. April 2018.

Literaturquellen

Dotson, Kristie. „Tracking Epistemic Violence, Tracking Practices of Silencing“. Hypatia 26, Nr. 2 (2011): 236–57. https://doi.org/10.1111/j.1527-2001.2011.01177.x.

Feldman, Dana. „‘The Morning Show’: Season 1 Was Great, Season 2 Is Even Better“. Forbes. Zugegriffen 29. August 2025.
https://www.forbes.com/sites/danafeldman/2021/09/15/the-morning-show-season-1-wasgreat-season-2-is-even-better/.

Haraway, Donna. „Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective“. Feminist Studies 14, Nr. 3 (1988): 575.
https://doi.org/10.2307/3178066.

Schmincke, Imke. Verschiedene Begriffe kennzeichnen Widerstände gegen Emanzipation. In seiner aktuellen Ausformung „Antigenderismus“ ist der Antifeminismus als modernes Krisensymptom zu deuten und gleichzeitig in seiner Bedrohung demokratischer Werte ernst
zu nehmen. 20. April 2018.

Shelton, Lynn, Reg. The Morning Show. That Woman. Apple TV+, 2019. Serie, 2019-Laufend. https://www.amazon.de/gp/video/detail/B0DHR3QDSC/ref=atv_hm_hom_c_pEHQ18_6_2?j
ic=8%7CEgNhbGw%3D.

Sweet, Paige L. „The Sociology of Gaslighting“. American Sociological Review 84, Nr. 5 (2019): 851–75. https://doi.org/10.1177/0003122419874843.

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Aktivismus Alltag Tirol

Unsichtbare Bilder im Kopf. Warum Exilantinnen des 19. Jahrhunderts für unser heutiges Verständnis von Migration so relevant sind

Ein Gastbeitrag von Annalena Bürk

Foto: privat

Dieser Artikel ist zuerst erschienen als:
Bürk, Annalena: Unsichtbare Bilder im Kopf. Warum Exilantinnen des 19. Jahrhunderts für unser heutiges Verständnis von Migration so relevant sind, in: Migration and Belonging, 29/08/2025.

Flucht. Exil. Migration. Drei Worte, die verschiedene Bilder in unseren Köpfen hervorrufen – doch sind diese Bilder wirklich so verschieden? Höchstwahrscheinlich nicht. Woran liegt das? Oder genauer gefragt: Auf welche Darstellungen und Überlieferungen sind diese Vorstellungen zurückzuführen?

Sicherlich trägt zum einen der aktuelle vereinfachte politische Diskurs seinen Teil dazu bei, dass komplexe Geschichten von Migration zur nahezu homogenisierten Darstellung vom „Menschen mit Migrationsgeschichte“ heruntergebrochen werden – undifferenziert in jeglicher Hinsicht.

Zum anderen erinnern wir logischerweise auch (nur) das, was historisch überliefert wurde. Denn, was nicht oder wenig dokumentiert wurde, scheint nicht oder kaum existiert zu haben – und was (vermeintlich) nicht existiert, lässt sich schwer erinnern. Es bestehen also die große Wahrscheinlichkeit und Gefahr, dass es Realitäten gibt und gab, die unsichtbar sind. Sicher kann man an dieser Stelle zig spannende Fragen stellen und versuchen zu lösen. Innerhalb dieses Beitrags widme ich mich den Fragen: Kann man Unsichtbares sichtbar machen? Und gibt es eine (verborgene) Wirkungsmacht von Unsichtbarem?

Kann man Unsichtbares sichtbar machen?

Anhand eines Beispiels wird im Folgenden Unsichtbares und dessen verborgene Wirkungsmacht innerhalb der Migrationsgeschichte offengelegt und um eine postkoloniale Perspektive erweitert. Durch das Übertragen auf ein weiteres Beispiel wird die Gefahr selektiver Wahrnehmungen und Relevanz des Themas verdeutlicht. Zunächst beschäftige ich mich also, gemäß der Publikation von Sylvie Aprile, Delphine Diaz, Alexandre Dupont und Antonin Durand,1 exemplarisch mit Exilantinnen im Europa des 19. Jahrhunderts.

Denn Frauen im Exil waren nicht nur zahlenmäßig präsent – als Ehepartnerinnen, Töchter und politische Akteurinnen –, sondern sie waren auch für das alltägliche (Über)leben und für politischen Aktivismus verantwortlich. Und trotzdem stehen sie bis heute weitgehend im Schatten einer männlich-normativ erzählten und wahrgenommenen Exilgeschichte, da ihr Handeln nicht in gleicher Weise anerkannt wird und wurde. Paradoxerweise eröffnete genau diese gesellschaftliche Abwertung Räume für Exilantinnen, in denen sie unter dem Deckmantel ihrer vergeschlechtlichten Positionierung und Zuschreibungen nahezu unsichtbar, jedoch effektiv, agieren konnten.

Aprile et al. verdeutlichen außerdem, dass nicht nur Geschlecht, sondern auch soziale, ökonomische und familiäre Konstellationen die Exilerfahrungen bedingten. Sie verweisen dabei auf die Relevanz des intersektionalen Ansatzes in der Betrachtung von Migrations- und insbesondere Exilerfahrungen.2 Dadurch lassen sich Überlieferungen vollständiger erzählen und differenziertere Vorstellungen und Bilder in unseren Köpfen produzieren – Unsichtbares kann also sichtbarer werden.

Von Intersektionalität zu Assemblage

Intersektionalität liegt vor, wenn sich Differenzachsen (z. B. Geschlecht, „Race“, Klasse) überschneiden und so bestimmte Situiertheiten bilden. Diese funktionieren dabei als starre, also determinierende Differenzkategorien. Darin wiederum liegt die Gefahr, dass Abweichungen oder Dynamiken ausgeschlossen – sprich unsichtbar – bleiben könnten. Angesichts dieser Problematik schlagen Nikita Dhawan und Maria do Mar Castro Varela vor,3 das Verständnis von Differenz weiterzudenken – nicht als starre, sich linear überschneidende Achsen, sondern als dynamische Prozesse mit Wechselwirkungen und Bedingungen (z. B. Geschlecht, Raum, Emotionen, Affekt), wofür sie auf den Begriff der Assemblage zurückgreifen.

Diese theoretische Erweiterung erlaubt es, Exilantinnen als aktive Subjekte zu begreifen und nicht als Betroffene verschiedener Diskriminierungen. Das Beispiel des Handlungsspielraums der Exilantinnen verdeutlicht diese produktive Verschiebung: Die Ambivalenz zwischen öffentlicher Unterschätzung und gleichzeitiger politischer Einflussnahme wird im intersektionalen Sinne als Handlungsspielraum aufgrund von Marginalisierung (oder Unsichtbarkeit) wahrgenommen. Dhawan und Castro Varela4 jedoch deuten dies um als „Affective Sabotage“: eine Widerstandsform, die subversiv Normerwartungen unterläuft. Demnach kann auch die Wirkungsmacht im Unsichtbaren sichtbar gemacht werden, wie uns dieser ermächtigende Bedeutungswechsel aufzeigt.

Ein unvollständiger Überblick über Migrationsbewegungen

Bevor ich den Bogen jedoch ganz schließe, zoome ich noch einmal raus und überblicke Flucht, Exil, Migration von oben – sozusagen Migration als „Geschichte und Zukunft der Gegenwart“. Was könnte dazu besser dienen als Jochen Oltmers gleichnamiges Werk über globale Migrationsbewegungen?5 Mit seiner detaillierten Übersicht will er verdeutlichen, dass sich aktuelle Migrationsphänomene „nur […] im Sinne einer Langzeitbeobachtung von Gesellschaften über Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte erklären“ lassen, so seine Homepage. Dabei stellt er eine wiederkehrende selektive Wahrnehmung seitens der Einwanderungsgesellschaften heraus – und prangert eine irreführende Darstellung seitens eurozentrischer Regime an.6  Doch gleichzeitig werden in Oltmers Überblick Frauen als Migrationsakteurinnen nicht spezifisch erwähnt, sondern gehen durch den sprachlichen Gebrauch des generischen Maskulinums eher unter. Allerdings spielt Geschlecht wohl doch insofern eine Rolle, als dass Oltmer explizit sexualisierte Gewalt thematisiert.7 Spätestens an dieser Stelle sollte klar sein, dass es ebenfalls zu problematisch verzerrten Wahrnehmungen führt, wenn geschlechtsspezifische oder intersektionale Differenzierungen unzureichend oder gar nicht angegangen werden. In beiden Fällen werden unvollständige und realitätsferne Bilder reproduziert.

Flucht, Exil, Migration wird es immer geben. Vereinfachende Bilder von komplexen Gegebenheiten auch. Lasst uns trotzdem damit anfangen, Geschichte(n) darüber neu zu schreiben und Gegebenheiten zu hinterfragen. Indem wir zum Beispiel versuchen, Unsichtbares sichtbar, Passives aktiv und Eingeschränktes handlungsmächtig zu machen.

Gastautor*in: Annalena Bürk schloss ihren Bachelor in Mehrsprachiger Kommunikation 2018 in Köln ab, wohnte in der Zwischenzeit in Halle an der Saale und in ihrer Heimat, dem Ortenaukreis, wo sie als Kursleiterin für DaZ (Deutsch als Zweitsprache) und als Integrationsbeauftragte arbeitete. In diesen Bereichen arbeitet sie auch heute noch, währenddessen studiert sie in Innsbruck den Master Gender, Kultur und Sozialer Wandel mit dem Ziel, die im Studium vermittelten Perspektiven im Alltag und Beruf sinnvoll zu integrieren.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen als:
Bürk, Annalena: Unsichtbare Bilder im Kopf. Warum Exilantinnen des 19. Jahrhunderts für unser heutiges Verständnis von Migration so relevant sind, in: Migration and Belonging, 29/08/2025.

Quellen
Aprile, Sylvie / Diaz, Delphine / Dupont, Alexandre / Durand, Antonin: Gender and Exile, in: Diaz, Delphine / Aprile, Sylvie (Hg.): Banished. Traveling the Roads of Exile in Nineteenth-Century Europe. Berlin, Boston 2022, 175-204.

Aprile / Diaz / Dupont / Durand: Gender and exile, a.a.O., 175ff. und 182.

Dhawan, Nikita / Castro Varela, María do Mar: What difference does difference make?: Diversity, Intersectionality and Transnational Feminist Politics, in: Wagadu: A Journal of Transnational Women’s and Gender Studies 16 (2016), 11-39, hier 21 ff.

Dhawan / Castro Varela: What difference, a.a.O., 35.

Oltmer, Jochen: Migration – Geschichte und Zukunft der Gegenwart. Darmstadt 2017.

Oltmer, Migration, a.a.O., 238.

Oltmer, Migration, a.a.O., 145.

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Aktivismus Alltag Tirol

Wie sich Kinderarmut auf soziale Aufstiegschancen auswirkt und einzig Hilfe zur Selbsthilfe hilft

Ein Essay-Beitrag von Laura

Foto: privat

Das Buch „Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance“ (2020) von Jeremias Thiel erzählt die Kindheit des Autors aus der Ich-Perspektive. Thiel wuchs in einer Familie auf, die von Armut, Krankheit und Überforderung geprägt war. Bedingungen, die viele Kinder in Deutschland betreffen. Laut Statistischem Bundesamt lebt rund jedes fünfte Kind in Armut (DER SPIEGEL 2024). Sein autobiografisches Buch handelt von fehlenden Chancen, Hilflosigkeit und dem tiefen Wunsch nach einem Ausweg. Darüber hinaus zeigt Thiels Geschichte, dass Armut nicht nur materiell wirkt, sondern auch strukturell und emotional. Der vorliegende Text fokussiert sich auf ausgewählte Erfahrungen des Autors im Hinblick auf ungleichheits- und emotionstheoretische Konzepte.

Die Schule lässt sich als Ort der Reproduktion sozialer Ungleichheit beschreiben. Es ist ein Raum feiner Distinktionsmechanismen von Sprache über das Pausenbrot bis zur Gymnasialempfehlung. Thiel schreibt: „In der vierten Klasse hatte ich keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen, obwohl meine Noten dafür gesprochen hätten. Auf dem Etikett, das man mir aufgeklebt hatte, stand: schlauer Kerl, aber arm“ (Thiel 2020: 11). Hiermit wird die
symbolische Gewalt von Pierre Bourdieu veranschaulicht: Eine subtile Form sozialer Machtausübung, die als gerecht erscheint und nicht hinterfragt wird. Das Beispiel verdeutlicht, dass Lehrkräfte neben den Noten die soziale Herkunft oftmals unbewusst mit einbeziehen, wenn es um das Aussprechen der Gymnasialempfehlung geht. Auch wenn sich Lehrkräfte bemühen, können sie sich kaum gegen die gesellschaftlichen Strukturen widersetzen, die Kinder aus ärmeren Verhältnissen benachteiligen. Infolgedessen sind Bildungsinstitutionen Orte der Klassifikation: Zwar wird Gleichheit propagiert, aber Ungleichheit unbewusst produziert. Diese stillschweigende Reproduktion sozialer
Ungleichheit lässt sich am Beispiel Thiels nichtnur als symbolische Gewalt, sondern auch als institutionelle Diskriminierung fassen. Gemeint ist die strukturelle Benachteiligung bestimmter Gruppen durch Normen, wie sie in der Schule herrschen.

Diese Diskriminierung wirkt gleichermaßen auf mehreren Ebenen: Einerseits in direkter Form, etwa durch Entscheidungen im Zuge der Frühselektion nach der Grundschule. Trotz guter Leistungen erhält Thiel keine Empfehlung für das Gymnasium. Eine Entscheidung, die nicht seine Fähigkeiten, sondern seine soziale Herkunft widerspiegelt. Andererseits zeigt sich institutionelle Diskriminierung auch in indirekter Form – subtiler, aber ebenso wirkmächtig. Sie zeigt sich in Erwartungen an sprachlichen Ausdruck, an das Verhalten der Eltern sowie an ein äußeres Erscheinungsbild, das den schulischen Normen entspricht. Wer diese unausgesprochenen Erwartungen nicht erfüllt, fällt auf. Es ist kein Fehlverhalten, sondern die Abweichung von einer Norm. Diese Verbindung aus struktureller Ausgrenzung und subtiler Abwertung lässt Kinder wie Thiel in einem System zurück, das ihnen unterschwellig vermittelt, ihr Scheitern sei selbstverschuldet. Thiel beschreibt einen typischen Morgen in seiner Familie: „Diese Morgen waren nicht alle
gleich, aber sie hatten eines gemeinsam: Sie waren von Überforderung geprägt. […] Dass meine Mutter laut und oft auch handgreiflich wurde – es gehörte zu meinem Tagesbeginn“ (ebd.: 88). Dass seine Mutter laut wird, macht deutlich, dass Thiel als Kind sehr wohl spürt, dass etwas nicht stimmt: Sei es Überforderung, die sich in lauten Ausbrüchen oder sogar in Handgreiflichkeiten äußert. Sprache, die als Mittel der Kommunikation und Fürsorge in anderen Familie dient, schlägt hier in Sprachlosigkeit und Gewalt um. Wenn einem die Worte fehlen, um Überforderung auszudrücken, greift man zur Gewalt. Es ist gleichzeitig ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Aus der Perspektive des Kindes sind diese Ausbrüche keine Ausnahmen, sondern Teil seines Alltags.

Am Beispiel seines Pausenbrots verdeutlicht Thiel eindrücklich die soziale Bedeutung scheinbar alltäglicher Dinge: „Zwischen zwei Scheiben labbrigen Toastbrot […] lag eine Scheibe Lyoner aus der Plastikverpackung vom Discounter. Eine Brotdose hatte ich nicht, stattdessen verlor sich mein Pausenbrot in einem Plastikbeutel“ (ebd.: 88-89). Diese Situation zeigt symbolisch den Klassenunterschied zu seinen Mitschüler:innen. Sie verweist nicht nur auf fehlende finanzielle Mittel, sondern auch auf Lieblosigkeit. Während andere Kinder geschmierte Brote in bunten Dosen mit Obst und Snacks mitbringen, steht sein Pausenbrot als Sinnbild für Scham und Vernachlässigung. Der Autor illustriert, dass er keine Familie hat, die ihn aktiv in der Schule unterstützt, beispielsweise in Form von Hausaufgabenbetreuung. Es wird deutlich, wie gering sein soziales Kapital nach Bourdieu ist und wie sehr sich das auf seine schulische und soziale Entwicklung auswirkt. „Ich habe viel zu früh viel zu viel Verantwortung übernehmen müssen, habe ein Stück weit meine Familie ‚gemanagt‘, obwohl ich selbst gerade erst Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt hatte“ (ebd.: 14). Thiel übernimmt Verantwortung aus einem habitualisierten und verinnerlichten Pflichtgefühl heraus. Seine familiäre Situation lässt ihm keine andere Wahl. Bourdieu spricht vom „Habitus der Notwendigkeit“, in dem Entscheidungen nicht aus freien Stücken, sondern aus Zwang heraus getroffen werden (Wolf 2025: 42). Thiel erklärt: „[U]nd das war für mich das Schlimmste – war ich gezwungen, ein Leben zu führen, dem jedes noch so kleine Stückchen Struktur und Ordnung fehlte“ (Thiel 2020: 14). Thiel veranschaulicht, wie ihn seine familiäre Situation in eine Rolle drängt, die ein Kind nicht übernehmen sollte: Verantwortung tragen, funktionieren, aushalten. Er spricht von Scham über Kleidung, über das Pausenbrot, von dem Gefühl, nicht dazuzugehören und einer tiefen Sehnsucht nach Ordnung und Klarheit.

Die von Eva Illouz beschriebene emotionale Ordnung moderner Gesellschaften hilft dabei, Thiels Erfahrungen nicht nur individuell, sondern als gesellschaftlich geprägte zu betrachten. Scham, das Gefühl der Abweichung oder das Empfinden des Nicht-Dazugehörens sind in dieser Perspektive keine bloßen privaten Reaktionen. Vielmehr spiegeln sie gesellschaftliche Regeln wider, wer sich wie fühlen darf – und wer nicht. In einer Gesellschaft, die bestimmte Normen fortwährend reproduziert, sind Emotionen wie Scham und Überforderung beinahe unausweichlich, sobald jemand von diesen Erwartungen abweicht. Solche Gefühle tragen zur Stabilisierung sozialer Ungleichheit bei. Diese emotionale Ordnung ist kein Zufall, sondern wird kulturell hergestellt, u. a. durch Institutionen wie die Schule, die Bewertungssysteme übernimmt, soziale Normen weiterträgt und dabei Emotionen reguliert. In diesem Gefüge erscheinen Emotionen wie Scham oder Hoffnungslosigkeit nicht als Kritik am System, sondern als persönliches Problem.

Erst im SOS-Kinderdorf erfährt Thiel so etwas wie Fürsorge und ein Leben, das nicht von Chaos, sondern von Struktur geprägt ist. „Im SOS-Kinderdorf in Kaiserslautern angekommen [,] verwandelte sich mein Leben von Grund auf. Zum ersten Mal erlebte ich verlässliche Fürsorge durch Erwachsene, so etwas wie ein strukturiertes Leben und Ruhe“ (ebd.: 14-15). Auch in der Tagesgruppe, die ihm durch das Eingreifen einer Lehrerin ermöglicht wird, erlebt er zum ersten Mal emotionale Verlässlichkeit und soziale Stabilität. „In der Tagesgruppe fand ich Erwachsene, die für mich da waren“ (ebd.: 34). In der Tagesgruppe wird greifbar, was Bourdieu unter sozialem Kapital versteht: Zugehörigkeit, Beziehungen und verlässliche Netzwerke. Thiel wird zum ersten Mal Teil einer Gemeinschaft, die an ihn glaubt und ihm den Raum gibt, sich zu entfalten. Einerseits gelang Thiel in die Tagesgruppe nur, weil eine Lehrerin auf ihn aufmerksam wurde. Andererseits kam Thiel nur ins SOS-Kinderdorf, weil er selbst aktiv wurde mit einem Hilferuf und einem Vorsprechen beim Jugendamt. In meinem Empfinden ist es bezeichnend, dass ein elfjähriges Kind diesen Schritt allein gehen musste, weil es sonst niemand für ihn getan hätte.

Thiel beschreibt, wie ihm oft Scham überkam: wegen seines Pausenbrots, seiner Kleidung, seiner Andersartigkeit. Diese Scham ist Ausdruck eines Gefühls von Mangel: nicht nur an Geld bemessen, sondern auch an Zugehörigkeit und Wertschätzung. Er schreibt von dem Gefühl, nach Armut zu riechen, und davon, dass andere Kinder nicht ahnen können, wovon arme Kinder träumen – etwa von einem Druckbleistift (ebd.: 101). Armut wirkt hier nicht nur materiell, sondern auch tief emotional: Sie untergräbt Selbstwert und soziale Teilhabe.

Insbesondere beschäftigt mich die Frage, warum soziale Ungleichheit oftmals individuell betrachtet wird? Thiels frühes „Scheitern“ im Bildungssystem wird nicht als Systemversagen markiert, sondern erscheint wie eine logische Folge seiner sozialen Herkunft. Symbolische
Gewalt zeigt sich gerade darin, dass sie nicht als solche erkannt wird und als gerecht erscheint, weil sie durch vermeintlich neutrale Strukturen wie Schulnoten oder Übergangsempfehlungen verschleiert wird. Die Idee, dass Bildung für alle gleich ist, ignoriert reale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, die Kinder unterschiedlich stark belasten.

Thiels Geschichte ist eindrücklich, weil sie sichtbar macht, wie sich strukturelle Ungleichheit in das Leben von Kindern einprägt. Es ist ein Leben, in dem Selbsthilfe zur einzigen Option wird: Hilfe von außen kommt oft zu spät oder bleibt ganz aus. Bildung bleibt machtlos gegenüber sozialer Ungleichheit, solange finanzielle und materielle Voraussetzungen ungleich verteilt sind. Ein System, das Chancengleichheit verspricht, aber Benachteiligungen aufgrund sozialer Herkunft ignoriert, reproduziert Ungleichheit unter dem Deckmantel von Leistung. Kinder wie Jeremias Thiel müssen nicht nur mehr leisten als andere, um überhaupt gesehen zu werden. Oft kämpfen sie zusätzlich gegen ein System, das ihre Realität gar nichterst mitdenkt.

Zugleich dient seine Geschichte der Legitimation des Systems: Sie soll zeigen, dass Aufstieg möglich sei und verschleiert genau dadurch, dass der Ausnahmefall das System nicht widerlegt, sondern bestätigt. Thiel wird zum Alibi eines Systems, das sich selbst als gerecht inszeniert, während es strukturell aussortiert. Die Geschichte Thiels zeigt eindrücklich: Es braucht nicht mehr Anpassung von den Kindern, sondern mehr Verantwortungsbewusstsein
von der Gesellschaft. Solange strukturelle Ungleichheit nicht gesehen und institutionell verschleiert wird, bleibt Bildung ein Versprechen auf gesellschaftlichen Aufstieg, das für viele keine Gültigkeit hat. Auch wenn Thiels Geschichte stark über Klasse lesbar ist, sollte nicht übersehen werden, dass soziale Benachteiligung oft mit weiteren Achsen der Ungleichheit wie Migration, Behinderung oder geschlechtsspezifischer Zuschreibung verwoben ist. Eine intersektionale Perspektive hilft, solche Überschneidungen mitzudenken: Insbesondere im Bildungssystem, wo Mehrfachdiskriminierungen selten explizit thematisiert werden.

Quellen
DER SPIEGEL (2024): In Deutschland lebt jedes fünfte Kind in Armut. Verfügbar unter: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kinderarmut-jedes-fuenfte-kind-in-deutschland-leidet-unter-armut-a-d17ca4ca-48e8-4ec1-83d3-d4770d5a09a7 [Zugriff am: 15.06.2025].

Thiel, Jeremias (2020): Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance: Wie sich Armut in Deutschland anfühlt und was sich ändern muss. München: Piper.

Wolf, Maria A. (2025): Vorlesung C_2a: Sozialer Raum – Klassen – Feld. Theoretische Grundbegriffe II_Bourdieu. V orlesung im Rahmen der Lehrveranstaltung Geschichte und Theorie der sozialen Ungleichheit und Inklusion, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck.

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Kunst als Katalysator für Wandel – Neue Konstellationen denken: Ren Loren Britton und Kolleg*innen im Kunstpavillon Innsbruck

Ein Beitrag von Helen Schindler und Theresa Scheutzow auf Basis des Interviews mit Ren Loren Britton

English version below

Foto: Andrei Siclodi, 2025.
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INNklusion – für einen langfristigen Wandel

Beitrag von Helen Schindler

Foto: Anna Zweimüller

Das Projekt INNklusion der Universität Innsbruck etabliert eine interdisziplinäre Lehr- und Forschungsplattform, in der Studierende gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen und Expert*innen innovative Assistenzlösungen entwickeln. Ziel ist die nachhaltige Förderung von gesellschaftlicher Teilhabe durch praxisnahe Co-Creation, bei der die jeweiligen Lebensrealitäten aktiv eingebunden werden.

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Aktivismus

Fünf Fragen vor den ÖH-Wahlen (9.-11. Mai 2023) – Gleichstellung, Inklusion und Diversität an der Uni Innsbruck

Beitrag von Stefanie Hofer und Clara Sophie Bitter

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Alle zwei Jahre werden an sämtlichen Österreichischen Hochschulen im Zuge der Wahlen der Österreichischen Hochschüler_innenvertretung (ÖH)  die jeweiligen Studienvertretungen (Stv), Hochschulvertretungen (HV) sowie die Bundesvertretung (BV) gewählt, die die Studierenden repräsentieren und ihre Interessen auf den jeweiligen Ebenen durchsetzen sollen. 2023 fallen die Wahltage auf 9.-11. Mai. Das haben wir als Anlass genommen, den wahlwerbenden Fraktionen jeweils fünf Fragen zu stellen, die besonders auf Gleichstellung und Inklusion fokussiert sind.

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Alltag

Geschlechtergerechte und sensible Sprache – wie und wieso?

Text von Clara Sophie Bitter

kleine bunte Holzwürfel auf denen Buchstaben eingraviert sind liegen  unsortiert auf einer schwarzen Unterlage
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Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache im schriftlichen, aber auch mündlichen, Gebrauch verbreitet sich in den letzten Jahren immer mehr. Politisch, medial, aber oft auch im privaten Kreis werden Diskussionen darüber geführt, ob ein geschlechtergerechter und sensibler Sprachgebrauch notwendig ist. Hierbei fallen oft viele Argumente für und gegen eine inklusive Sprache, aber wieso ist sie eigentlich von Bedeutung? Wie hat sie sich eigentlich entwickelt? Was gibt es für wissenschaftliche Erkenntnisse zu ihrer Verwendung und welche Empfehlungen gibt es für den Gebrauch geschlechtergerechter Sprache?