Ein Gastbeitrag von Helen Liebetanz

Feministische Themen und Perspektiven prägen unseren Alltag, unabhängig davon, ob dies nun aktiv oder passiv passiert. Sie sind wichtig und bekommen oftmals nicht die
Anerkennung, die sie verdient haben. Deutlich wird das in der Art und Weise, wie z.B. antifeministische, rechtsextremistische und sexistische Äußerungen, ohne viel Reflexion in alltäglichen Gesprächen aufgebracht werden. Es gibt eine Menge negativer Reaktionen, Haltungen und Meinungen demgegenüber dem. Nicht nur aktive Taten, wie z.B. Femizide, sind politisch, kulturell und antifeministisch geprägt, sondern auch das Wissen darüber.
Studierende, wie ich, des Masterstudiengangs Gender, Kultur und sozialer Wandel sind mit diesen Dynamiken auf besondere Weise konfrontiert. Wir setzen uns im Studium mit geschlechtertheoretischen Themen und feministischer Erkenntnistheorie auseinander. Wir lernen über Haraways Konzept den God-Trick, welchen sie mit seiner dazugehörigen Problematiken erklärt. Ihre Kritik an ihm ist, dass Wissen nicht objektiv sei. Westliche Ideale und von Cis-Männern produziertes Wissen delegitimiert das Wissen von marginalisierten Personengruppen und nutzt dies, um sie unsichtbar zu machen und dort zu halten.1
Auch Spivaks Theorie zur epistemischen Gewalt aus ihrem Buch Can the Subaltern speak? ist von Notwendigkeit. Epistemische Gewalt nach Spivak bedeutet, marginalisierte Gruppen kein Zuhören zu schenken und sie systematisch zu ignorieren und unterdrücken. Dies wird mit den Konzepten anderer Theoretikerinnen wie Haraway, Harding, Hill Collins und Crenshaw in Verbindung gebracht.2 Wie so häufig wird sich gegenseitig weiter ergänzt, was das Wissen zu den Themen erweitert. Somit zeigt uns die feministische Wissensproduktion vielfältige Positionalitäten und nicht nur eine Perspektive als die einzige Wahrheit.
Dies bringt mich zurück zur Frage des Essays. Diese war für mich ansprechend, da sie meiner Meinung nach so gestellt wurde, dass die zwei Bereiche, also Feministische Erkenntnistheorie und kritische Sozialforschung, getrennt voneinander dargestellt werden.
Trotz dessen sind sie nicht getrennt voneinander zu denken. Dies schreiben auch Porter, Sulé und Croom in ihrem Kapitel APPLYING BLACK FEMINIST EPISTEMOLOGIES, RESEARCH, AND PRAXIS.3
Die Positionalität einer Person ist von großer Bedeutung, wie Haraway uns mit ihrer Theorie der situated knowledges näherbringt. Uns muss bewusst sein, wie Wissen produziert wird und aus welcher Positionalität dies entsteht. Die Ausführung von kritischer Sozialforschung funktioniert nur wenn wir das mit Haraways Theorien und auch die Theorien ihrer Kolleginnen verknüpfen.
Einige Methoden, die zu kritischer Sozialforschung gehören sind, narrative Interviews, teilnehmende Beobachtung, Diskursanalyse und noch viele mehr.4 Dies sind qualitative
Methoden die tiefgründig in Themenbereiche eindringen und das Wissen einzelner Person herauszukristallisieren. Anhand dieser Methoden wird Wissen produziert und es kommen Narrativen zum Vorschein, die sich auf der Basis der zuvor genannten Theorien besser einordnen und analysieren lassen. Sie geben uns ihre Perspektive, die zum ganzen Bild beitragen.
Mit Feministischer Erkenntnistheorie von den Theoretikerinnen, wie Harding, Haraway, Hill Collins etc. wird deutlich, dass die Unterdrückung von Wissen systematisch eingebettet ist und Machtverhältnisse dadurch erhalten bleiben. Das zeigt uns, dass Wissen nicht neutral ist und unsere Positionalität von gesellschaftlichen Strukturen geprägt ist. Die von Dotson in ihrem Text aufgegriffene Theorie, die ursprünglich von Spivak aus Can the subaltern speak? stammt, zeigt das grundlegende Problem innerhalb der feministische Erkenntnistheorie, nämlich epistemische Gewalt. Gemeint ist damit nicht nur die Unterdrückung von Wissen und Wissensproduktion, sondern auch das systematische Ignorieren oder Nicht-Hören von anderen Perspektiven, insbesondere die von diskriminierten Personengruppen, u.a. Frauen, PoCs und Menschen mit Behinderungen.
Diese Art der Gewalt besteht nicht nur in der Theorie oder auf einer Leinwand, sondern erfahren wir in unserem Alltag. Dabei werden diese gemachte Erfahrungen in Frage gestellt und Perspektiven werden somit oftmals als übertrieben dargestellt und dadurch abgewertet.5,6
Um die Frage besser beantworten zu können, möchte ich dies anhand eines Beispiels erklären. Als eine Person, die der Generation Z zugehörig ist und eine Kindheit hatte, die von Film und Fernsehen geprägt und in jungen Jahren schon den sozialen Medien ausgesetzt war, sind Pop-Kultur und Filmanalysen ein Teil von mir. Ich habe eine Faszination für Filme und Serien entwickelt und wie diese Geschichten bildlich die Geschehnisse aus unserem Alltag widerspiegeln. Mit diesem Hintergrundwissen wollte ich anhand von Bildmaterial den Zusammenhang von Feministischer Erkenntnistheorie und kritische Sozialforschung eine Szene aus der Serie The Morning Show nehmen, die genau diese darstellen zu versucht.
Die Serie The Morning Show handelt, wie der Titel schon verrät über eine Frühstückssendung, die in den USA spielt. Was meiner Meinung nach wichtig zu erwähnen wäre ist, dass das Format der Sendung innerhalb dieser Serie keine sehr leichte Kost ist und sich mit schwerwiegenden Themen auseinandersetzt. Ansonsten würde der Kontext fehlen, der im nächsten Absatz relevant ist, für ein vollständiges Bild.
Nun zu der eigentlichen Handlung: Eine neue Reporterin wird als Ersatz für den bisherigen Co-Moderator der Sendung eingestellt, da über ihn Anschuldigungen vorliegen, sexuell übergriffig gegenüber Mitarbeiterinnen innerhalb der Produktion gewesen zu sein. Mit dem Verlauf der ersten Staffel wird den Zuschauerinnen mehr Einblick in die Geschichte gegeben und es wird eine Menge hinter den Kulissen aufgedeckt. Mehr werde ich nicht erzählen, um die Serie nicht zu verderben, falls die Personen, die das hier lesen, die Serie noch schauen werden. Trotzdem bleibt eine spezifische Szene besonders relevant für die Beantwortung der Frage.
Die Szene aus Staffel 1, Folge 4, Minute 39:00 bis 44:00 zeigt uns ein Interview, das die neue Reporterin, mit der von sexueller Gewalt betroffenen Frau führt.7 In dieser Szene wird die Methode des narrativen Interviews verwendet, um die Betroffene sichtbar zu machen und ihr ein Stück Agency zurückzugeben. Ihre Narrative der Geschehnisse wird den Zuschauerinnen vermittelt und ihre Positionalität (die dargestellte Person ist: weiss, cis und hatte einen guten Beruf etc.) wird genutzt, um das Bild über den Täter weiter zu
vervollständigen. Somit zeigt dieses Szene wie kritische Sozialforschung für uns funktionieren kann und die Positionalität, die innerhalb der feministischen Erkenntnistheorie angesprochen wird, Fortschritte bezwecken kann hinsichtlich der feministischen
Wissensproduktion.
Die Machtverhältnisse innerhalb des Sendernetzwerk werden nochmal anhand von Diskursen um die Sendung herum über die Betroffene aufgezeigt. Vor dem Interview diskutieren die Vorgesetzten, ob es eine gute Idee ist der Betroffenen eine Stimme auf Ihrer Sendung zu geben oder, ob es nicht besser wäre die Betroffene zum Schweigen zu bringen. Das der Diskurs davon handelt, dass sie ihr den Mund verbieten wollen, eine Möglichkeit wäre, spiegelt die Positionalitäten der Individuen wider und wie sie innerhalb ihres Systems versuchen ihre Macht zu missbrauchen. Wie anfangs beschrieben, zeigt die Serie nicht nur die Positionalitäten der Hauptprotagonistinnen auf, sondern präsentiert sowohl dem Publikum innerhalb der Serie als auch uns als von außen Zuschauende die systematische Unterdrückung der Wissensproduktion und wie kritische Sozialforschung dem entgegenwirken kann.
Dadurch wird auf einer Meta-Ebene diese Thematik aufgegriffen und zeigt uns, was in der Realität passieren könnte oder was für Maßnahmen ergriffen werden könnten, wenn das in unseren Lebensrealitäten passiert. Ich sage hier bewusst wenn und nicht falls, da dies bereits passiert ist und die Serie basierend auf solchen Geschehnissen geschaffen wurde.8
Daher zeigt die Serie nicht nur, dass wir die Serien, Filme und Sendung, die wir schauen, reflektieren müssen, sondern unter welchen problematischen Machtverhältnissen diese auch produziert werden. Denn oftmals reflektieren Personen, die Fernsehen konsumieren, nicht, welche Bilder ihnen vorgespielt werden. Diese Bilder reproduzieren, Machtverhältnisse, Heteronormativität, Rassismus, Sexismus, und Antifeminismus, weshalb es immer wichtiger wird sich mit den Hintergründen und dem Kontext von Film zu beschäftigen. Denn genau solche Situationen passieren in unserem Alltag und nicht nur auf einer Leinwand und sind Aspekte, über die nicht oft genug gesprochen werden.
Doch wir müssen für einen Moment zurückblicken auf die alltäglichen Diskursen über feministische Themen. Antifeminismus in Film und Pop-Kultur sind Themen mit denen ich mich bewusst erst seit Kurzem beschäftige. Unterbewusst setzte ich mich schon einige Jahre damit auseinader. Mir fällt immer wieder auf, wie oft problematische Inhalte dargestellt werden. Dabei frage ich mich, ob das nur mir auffällt, und den Menschen, mit denen ich studiere, oder ob z.B. eine Sportwissenschaftlerin die gleichen Szenen auf der Leinwand auch kritisch hinterfragen würde.
Denn der Antifeminismus bleibt nicht nur auf Leinwänden, sondern er wandert von unseren Bildschirmen über in gesellschaftliche Diskurse. Diskriminierung ist in unserer Gesellschaft stark verbreitet und war es auch schon immer, jedoch fällt es uns als Studierende des Gender, Kultur und sozialer Wandel Masters mehr und mehr auf. Denn Antifeminismus ist nicht nur eine politische Haltung sondern auch die Ausführung von epistemischer Gewalt.9
Antifeminismus wertet die Stimmen von Frauen* ab und zeigt uns Studierenden, wie wichtig das Zuhören von verscheidenden und marginalisierten Perspektiven ist.
Das zeigt uns, das antifeministische Handlungen im Sinne der feministischen Erkenntnistheorie kein Einzelfall darstellen, sondern tief in unserem Alltag verankert sind.
Antifeminismus habe ich mit als Beispiel ausgewählt, da ich ihn als Gegner der Erkenntnistheorie sehe und er jedoch aus unseren Alltagsdiskursen, Medien und generell Pop-Kultur leider nicht wegzudenken ist. Und es ist die Realität vieler Frauen und marginalisierten Personen, weshalb eine Darstellung, wie es uns in der Szene der Serie The
Morning Show dargestellt wird, wichtig ist.
Das zeigt, dass wir mit kritischer Sozialforschung und feministischer Erkenntnistheorie arbeiten können, um mögliche Fortschritte hinsichtlich der feministischen Wissensproduktion erreichen zu können. Es ist nicht nur das Verstehen von Strukturen, sondern es sind auch die
Methoden, die wir anwenden, die diese verändern können. So können wir Wissen feministischer gestalten.
Gastautor*in: Helen Liebetanz
Quellen
1Donna Haraway, „Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial
Perspective“, Feminist Studies 14, Nr. 3 (1988): 575, https://doi.org/10.2307/3178066.
2Kristie Dotson, „Tracking Epistemic Violence, Tracking Practices of Silencing“, Hypatia 26, Nr. 2 (2011):
236–57, https://doi.org/10.1111/j.1527-2001.2011.01177.x.
3„Porter et al.Applying Black Feminist Epistemologies Research_ and Praxis“, o. J.
4„Tools und Methoden der qualitativen Sozialforschung – einsetzbar zur Erforschung des Praktikums im
Rahmen des Projekts PEARL“, o. J.
5Dotson, „Tracking Epistemic Violence, Tracking Practices of Silencing“.
6Paige L. Sweet, „The Sociology of Gaslighting“, American Sociological Review 84, Nr. 5 (2019): 851–75,
https://doi.org/10.1177/0003122419874843.
7The Morning Show, Regie von Lynn Shelton, That Woman (Apple TV+, 2019), Serie, 2019- Laufend,
https://www.amazon.de/gp/video/detail/B0DHR3QDSC/ref=atv_hm_hom_c_pEHQ18_6_2?jic=8%7CEgNhbG
w%3D.
8Dana Feldman, „‘The Morning Show’: Season 1 Was Great, Season 2 Is Even Better“, Forbes, zugegriffen 29.
August 2025, https://www.forbes.com/sites/danafeldman/2021/09/15/the-morning-show-season-1-was-greatseason-
2-is-even-better/.
9Imke Schmincke, Verschiedene Begriffe kennzeichnen Widerstände gegen Emanzipation. In seiner aktuellen
Ausformung „Antigenderismus“ ist der Antifeminismus als modernes Krisensymptom zu deuten und gleichzeitig
in seiner Bedrohung demokratischer Werte ernst zu nehmen., 20. April 2018.
Literaturquellen
Dotson, Kristie. „Tracking Epistemic Violence, Tracking Practices of Silencing“. Hypatia 26, Nr. 2 (2011): 236–57. https://doi.org/10.1111/j.1527-2001.2011.01177.x.
Feldman, Dana. „‘The Morning Show’: Season 1 Was Great, Season 2 Is Even Better“. Forbes. Zugegriffen 29. August 2025.
https://www.forbes.com/sites/danafeldman/2021/09/15/the-morning-show-season-1-wasgreat-season-2-is-even-better/.
Haraway, Donna. „Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective“. Feminist Studies 14, Nr. 3 (1988): 575.
https://doi.org/10.2307/3178066.
Schmincke, Imke. Verschiedene Begriffe kennzeichnen Widerstände gegen Emanzipation. In seiner aktuellen Ausformung „Antigenderismus“ ist der Antifeminismus als modernes Krisensymptom zu deuten und gleichzeitig in seiner Bedrohung demokratischer Werte ernst
zu nehmen. 20. April 2018.
Shelton, Lynn, Reg. The Morning Show. That Woman. Apple TV+, 2019. Serie, 2019-Laufend. https://www.amazon.de/gp/video/detail/B0DHR3QDSC/ref=atv_hm_hom_c_pEHQ18_6_2?j
ic=8%7CEgNhbGw%3D.
Sweet, Paige L. „The Sociology of Gaslighting“. American Sociological Review 84, Nr. 5 (2019): 851–75. https://doi.org/10.1177/0003122419874843.






