Gastbeitrag von Zoe* Steinsberger

Diese Woche ist Transgender Awareness Week. Transgender Awareness Week, so eine der vielzitierten Definitionen, zielt darauf, „[to] raise the visibility of transgender people and address issues members of the community face“.1 Transgender Awareness Week ist hier, wie in so vielen vergleichbaren Statements auf Webseiten großer LGBTIAQ Organisationen aus Großbritannien und den ehemaligen britischen Siedlerkolonien (Kanada, USA, Australien), doppelt bestimmt. Sichtbarkeit erscheint hier als zentrales Paradigma, ebenso wie die Community, deren Anliegen thematisiert werden sollen.
Beide Paradigmen, das der Visibility und jenes der Community, stehen im Zentrum aktuellen liberalen trans* Aktivismus, welcher sie von LGBTIAQ Aktivismus geerbt hat. Ihnen liegt zum einen die Vorstellung zu Grunde, trans* Emanzipation vollziehe sich wesentlich – neben der Reform von Gesetzen – durch eine vermehrte Sichtbarkeit von trans* Personen in der Öffentlichkeit. Zum anderen gehen sie davon aus, es bestehe so etwas wie eine trans* Community, als eine Gemeinschaft von Personen, die sich solidarisch um gemeinsame Anliegen, Fragen, Lebensstile und Identitäten gruppieren. Dem entgegen weisen insbesondere Schwarze trans* Aktivist*innen und Theoretiker*innen sowie trans* Aktivist*innen und Theoretiker*innen of Color auf den illusorischen Charakter dieser Vorstellungen hin. Als weiße transfeminine Aktivistyn, Lehrende und Forschende möchte ich hier auf die Problematiken dieser, für liberale Versionen der Transgender Awareness Week zentrale Konzepte hinweisen. Dabei ist meine Kritik nicht darauf gerichtet, trans* Politiken generell zu verwerfen. Vielmehr geht es mir darum, Fallstricke zu thematisieren, die nicht nur liberale Ideen von trans* Emanzipation, sondern auch radikale Vorstellungen von trans* Befreiung betreffen und sich in die mit ihr verbundenen Politiken einschreiben. Ausgehend hiervon möchte ich eine Wendung der Idee der Transgender Awareness Week vorschlagen, um radikaler und umfassender für die Anliegen von trans* Personen einzustehen.
Die Falle der Sichtbarkeit
In der Einleitung von „Trap Door: Trans Cultural Production and the Politics of Visibility“ halten die trans* Theoretiker*innen Reina Gossett, Eric A. Stanley und Johanna Burton fest: „within the cosmology of racial capitalism, the promise of “positive representation” ultimately gives little support or protection to many, if not most, trans and gender non-conforming people, particularly those who are low-income and/or of color—the very people whose lives and labor constitute the ground for the figuration of this moment of visibility.“ 2
Auch positive trans* Sichtbarkeit und Darstellungsweisen gewähren insbesondere marginalisierten trans* Personen kaum Schutz. Vielmehr ist es gerade die vermehrte Sichtbarkeit des ‚Phänomen Trans‘, das sie zu Zielscheiben zunehmender transfeindlicher Gewalt macht. Sichtbarkeit, imaginiert und propagiert von zumeist weißen und mittelschichtsangehörigen Personen dominierten trans* Organisationen als zentraler Pfeiler transgeschlechtlicher Emanzipation, wird so zu einer „Falle“ für marginalisierte trans* Personen, wie die Autor*innen schreiben.3 Gerade trans* Personen, die auf den öffentlichen Raum stark angewiesen sind und sich nur schwer in private Räume zurückziehen können, sowie trans* Personen, die in Lohnarbeitsverhältnissen arbeiten, welche mit permanenter Sichtbarkeit einhergehen, stehen im Zentrum transfeindlicher Gewalt. So trifft diese, oft tödliche, Gewalt insbesondere Schwarze trans*feminine Personen und trans*feminine Personen of Color sowie unter ihnen insbesondere Sexarbeiter*innen.4
Zugleich unterliegt, wer als trans* Person positive und anerkennende Sichtbarkeit erlangt, intersektionalen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Zumeist erlangen nur diejenigen trans* Personen, denen eine erfolgreiche Verkörperung von Weißsein, ‚Mittelschichtszugehörigkeit‘, Zweigeschlechtlichkeit und Produktivität möglich ist, anerkennende Sichtbarkeit. So umgrenzen Rassismus, Klassismus, Ableismus und Cisnormativität, wer als trans* Person Anerkennung erfährt. „Transnormativität“5 beschreibt diese Grenzziehungen. Sie entstehen aus den selektiven Integrationsversprechen neoliberaler Geschlechterpolitiken. Diese gewähren Teilhabe für bestimmte geschlechtlich und sexuell von der Norm abweichende gesellschaftliche Positionierungen, solange diese sich an neoliberalen und staatsbürgerlichen Anforderungen wie Produktivität orientieren. Mehrfachmarginalisierte Subjekte wie trans* Personen of Color oder behinderte trans* Personen werden hingegen verworfen.6 Ihre Anliegen erscheinen in der Folge illegitim und werden in gesellschaftlichen – aber auch ‚community‘-internen – Debatten oft ignoriert oder als unbedeutend, zu spezifisch oder zu radikal abgestempelt.
In der aktuellen Debatte um das geschlechtliche Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland wird etwa von vielen trans* Organisationen und Aktivist*innen kaum thematisiert, dass dieses nur für deutsche Staatsbürger*innen und Personen mit anerkanntem Asylgrund gelten soll. Personen mit anderer Staatsbürger*innenschaft oder anderem Aufenthaltstitel wird dieses Recht auf Personenstandsänderung vorenthalten. Ein anderes Beispiel sind die Kriterien für Zugang zu Transitionsmedizin. Personen mit schweren Depressionen, Schizophrenie oder anderen sogenannten Persönlichkeitsstörungen wird dieser oftmals verweigert.7 Hier, wie etwa auch bei Kämpfen von trans* Sexarbeiter*innen of Color, verhalten sich viele trans* Personen zögernd und zurückhaltend. Jene zögernden und abwartenden Haltungen in trans* Kontexten speisen sich oft aus der Sorge, durch allzu radikale Forderungen und durch die Nähe zu noch stärker stigmatisierten Positionen, gesellschaftlich anschlussfähige Forderungen von anerkannteren trans* Personen zu diskreditieren. Dies wird dadurch bestärkt, dass trans* Personen bis heute häufig als psychopathologisch und damit nicht ernstzunehmend wahrgenommen werden.8
Trans* Politiken der Sichtbarkeit, die sich an hegemoniale Akteur*innen richten, sind somit oft verwoben mit Fragen der Respektabilität. Den dominanzgesellschaftlichen intersektionalen Prozessen der Entwertung und Stigmatisierung können sie kaum entkommen. Nur zaghaft können sie den Rahmen dehnen, was als anerkennbare (trans)geschlechtliche Identitäten und Lebensweisen erkennbar wird. Weil trans* Politiken der Sichtbarkeit den Regimen gesellschaftlicher Anerkennung nie ganz entkommen können und auf sie angewiesen sind, laufen sie Gefahr, neue Grenzziehungen zwischen anerkennbaren und ‚bedrohlichen‘, ‚kranken‘ oder schlicht ‚falschen‘ trans* Personen zu ziehen. Trans* Personen, die Schwarz, of Color, behindert, arm und/oder wohnungslos sind, können daher von ihnen nur schwerlich profitieren. Zugleich rücken Politiken der Sichtbarkeit eben auch jene Personen, die aufgrund intersektionaler Dynamiken besonders im Fokus von Gewalt stehen, noch mehr ins Licht der Öffentlichkeit und machen sie in ihrem täglichen Leben noch vulnerabler.
Community für alle?
Ebenso wie das Paradigma der Sichtbarkeit ist jenes der Community stark aus intersektional marginalisierten trans* Perspektiven heraus kritisiert worden. In trans* Diskursen schwingt mit dem Begriff der Community die Vorstellung eines herrschaftsfreien Raums mit, oder zumindest eines solchen, in dem ein verantwortungsvoller und rücksichtsvoller Umgang mit gesellschaftlichen Strukturen von Macht und Herrschaft gepflegt wird. Die trans* Community wird vorrangig als Raum vorgestellt, in dem gemeinsam an geteilten Problemen gearbeitet, für geteilte Anliegen eingestanden wird. Hingegen nehmen viele Schwarze trans* Personen, trans* Personen of Color, trans* Personen der Arbeiter*innenklasse und behinderte trans* Personen trans* Communities keineswegs als machtkritische, sensible und solidarische Räume war. Rassistische, klassistische und ableistische Dynamiken sind allgegenwärtig in trans* Räumen.9, 10 In einer rassistischen, klassistischen und ableistischen Gesellschaft wirken auch hier jene dominanzgesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse. Sie äußern sich in Mikroaggressionen, in der Art und Weise, wie Räume baulich konstruiert werden, welche Formen von Aktivismus propagiert werden, in der Annahme geteilter subkultureller Referenzen, in Normen des Sprechens (diesen Beitrag eingeschlossen), in dem, was als zentrale und relevante politische Ziele angesehen wird sowie auch in der Erwartung, viele Arbeiten unentgeltlich zu leisten.
Trans* oder queere Kontexte — das habe ich insbesondere von queeren Schwarzen Freund*innen, Genoss*innen und Kolleg*innen sowie Freund*innen, Genoss*innen und Kolleg*innen of Color gelernt – sind für viele, die nicht den Normen von akademisiert, weiß, ableisiert und finanziell (einigermaßen) abgesichert entsprechen, zumeist zutiefst ambivalente Orte. Es sind Orte, wo nur gewisse Versprechen von Zugehörigkeit eingelöst und viele andere enttäuscht werden, in denen manche Anliegen willkommen sind und zahlreiche andere abgelehnt werden. Oft sind Zugehörigkeiten nur partiell, denn nur manche Aspekte einer Person werden gesehen, nämlich jene geteilten wie etwa das sexuelle Begehren oder die Differenz zu Cis-Normativität. Fragen von Race, Behinderung oder andere Erfahrungen von Differenz werden in den Dynamiken queerer und trans* Communities vielfach ebenso ausgeblendet wie die Frage, wie diese Geschlecht und Begehren informieren, sich intersektional in diese einschreiben. Auch intersektionale Anliegen werden in trans* und queeren Communities nur teilweise wahrgenommen. So erlebe ich etwa oft – auch in meinem eigenen Tun – wie zwar betont wird, wie problematisch rassistische Ausschlüsse und Diskriminierungen in trans* Räumen sind, im Zentrum von trans* Politiken stehen diese aber nur selten.
Radikales trans* Bewusstsein
Mit den Vorstellungen von Fortschritt durch Sichtbarkeit und trans* Community als einem Ort der geteilten Erfahrung und Solidarität gründet die Idee der Transgender Awareness Week auf problematischen, ja macht- und herrschaftsignoranten Prämissen. Sie ist durchzogen von liberalen und neoliberalen Verheißungen und Vorstellungen, die Dynamiken von Diskriminierung und Ausschluss maskieren und verdecken. In ihrem aktuellen Verständnis meint Transgender Awareness in erster Linie ein zu weckendes bzw. stärkendes dominanzgesellschaftliches Bewusstsein für die Anliegen einer homogen und relativ privilegiert imaginierten Gruppe von trans* Personen. Dennoch sollten wir die Transgender Awareness Week nicht als politisches Werkzeug verwerfen. Vielmehr glaube ich, ist in dem Begriff eine verborgene weitere Dimension eingeschrieben, die eine kritische Wendung des Begriffs erlaubt.
Denn was, wenn wir die Transgender Awareness Week für uns als trans* Personen nutzen, um uns selbst unserer Kontexte und Zusammenhänge bewusst – aware – zu werden? Was geschieht, wenn wir diese Woche in einer kritischen Bewegung aufgreifen, um zu fragen, in welcher Weise unsere Konzepte unserer Selbst als trans* Personen verwoben sind mit dominanzgesellschaftlichen Vorstellungen von Transgender-Sein – mit ihren Normierungen und Bedingungen von Akzeptanz? Was eröffnet sich, wenn wir Transgender Awareness als Werkzeug und die Transgender Awareness Week als Zeitraum nutzen, um darüber hinaus über die Formen und Ziele der Politik zu reflektieren, denen wir uns als trans* Personen in unseren unterschiedlichen Privilegierungen verbunden fühlen? Und dabei der Frage nachgehen, inwieweit unsere Politiken verhaftet sind mit den dominanzgesellschaftlichen intersektionalen Grenzziehungen der Figur und Identitätskategorie Transgender – ihres Weißseins, ihrer Respektabilität? Nicht, um unser Trans*-Sein zu verwerfen, nicht, um die Forderung dominanzgesellschaftlicher Awareness für trans* Anliegen zurückzuziehen. Vielmehr ginge es darum, unser kritisches Bewusstsein als trans* Personen für die intersektionalen Herrschafts- und Machtverhältnisse, die unterschiedliche trans* Leben durchdringen, erschweren und auslöschen zu vertiefen, um so zu einer intersektionaleren trans* Awareness als trans* Personen zu gelangen. Dies würde uns helfen, ebenso von der Dominanzgesellschaft Awareness für die Intersektionalität von trans* Leben und bislang marginalisierte trans* Belange einzufordern. Transgender Awareness Week wäre dann eine Woche des radikalen trans* Bewusstseins.
Zoe* Steinsberger promoviert zu „Transfemininen Prekarisierungen“ und ist als Universitätsassistentin* am Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck (CGI) tätig. Mehr zur Arbeit von Zoe* findet ihr auf der Website der Universität Innsbruck.
Quellen:
1 Glaad 2022. https://www.glaad.org/transweek
2 Gossett, Reina. Eric A. Stanley, und Johanna Burton (Hrg.) 2017. Trap Door: Trans Cultural Production and the Politics of Visibility. Cambridge, MA: MIT Press, xvi.
3 Ebd.
4 Trans Murder Monitoring 2022. https://transrespect.org/en/trans-murder-monitoring/
5 Fütty, Tamás Jules. 2019. Gender und Biopolitik. Normative und intersektionale Gewalt gegen Trans*Menschen. Bielefeld: Transcript Verlag, S. 176.
6 Haritaworn, Jin, Adi Kuntsman, und Silvia Posocco. 2014. „Introduction.“ S. 1–27 in Queer Necropolitics, herausgegeben von J. Haritaworn, A. Kuntsman, und S. Posocco. New York: Routledge.
7 Friedrich, Florian 2022. https://www.meinbezirk.at/salzburg-stadt/c-regionauten-community/wenn-gutachten-fuer-transidente-personen-verweigert-werden_a5106655.
8 Irving, Dan. 2013. „Normalized Transgressions: Legitimizing the transsexual Body as productive.“ S. 15–29 in The Transgender Studies Reader 2. herausgegeben von S. Stryker und A. Aizura. New York: Routledge.
9 Haritaworn, Jin. 2015. Queer lovers and hateful others. regenerating violent times and places. London: Pluto Pres, S. 1-36.
10 Seeck, Francis. 2021. Care trans_formieren. Eine ethnographische Studie zu trans und nicht-binärer Sorgearbeit. Bielefeld: Transkript Verlag, S. 71-100.