Gastbeitrag von Hannah Beer

„Du bist schön, aber dafür kannst du nichts. Weder lesen, noch schreiben, noch was anderes“ singt der Rapper Alligatoah in seinem Song „du bist schön“. In satirischer Manier reproduziert er das Bild der oberflächlichen Person, welche ihr Augenmerk gänzlich auf ihr Äußeres richtet und als scheinbare logische Konsequenz darauf reduziert wird. Hat er damit recht? Ist Schönheit rein zufälliges Glück und ist an keinerlei Leistung geknüpft?
Regulierungen und Arbeiten am Körper: Schönheitspraktiken von adoleszenten Mädchen unter Annahme einer postfeministischen Gesellschaft
In einer Welt, in der patriarchale Zwänge vermeintlich längst überwunden sind, alle Geschlechter gleichberechtigt wählen und arbeiten dürfen, erscheint auch die Entscheidung zur (Schönheits-) Arbeit am Körper als individuell. Gleichzeitig werden innerhalb vergleichbarer Peergroups ähnliche, wenn nicht teilweise identische, Schönheitshandlungen getätigt. So spricht man von Kleidung, welche im Trend liegt, Frisuren, die gerade in sind und auch Make-up Techniken sind von normativen Vorstellungen (cis-weiblicher) Schönheit inspiriert. Trotz dieser offensichtlichen Normierungen werden Schönheitshandlungen und -vorstellungen als rein individuell geprägt verstanden:
„Schön machen sich Menschen für sich selbst, nicht für andere. Zumindest soll es so erscheinen. Das hat einen handfesten Grund: Sich für andere schön zu machen signalisiert Abhängigkeit, mangelndes Selbstbewusstsein und wenig Charakterfestigkeit. Über herrschende Schönheitsnormen sind wir alle erhaben. Glauben wir.“1
Dieses Zitat fasst die Ausgangsproblematik meiner Masterarbeit treffend zusammen. Wenn Schönheit so individuell ist, im Auge des Betrachters (wieso eigentlich nicht der Betrachterin?) liegt und eine persönliche Einstellung ist, wieso gibt es dann überhaupt Trends? Warum sehen dann alle Angehörigen einer sozialen Gruppe gleich aus?2 Widerspricht das nicht dem individuellen Charakter von Schönheit? Als Erziehungswissenschaftlerin habe ich besonders einen Blick auf Jugendliche, wodurch ich in meiner Masterarbeit spezifisch diese Gruppe im Hinblick auf ihr Schönheitshandeln ins Visier nahm. Gerade diese Gruppe ist ein Spiegel zeitgenössischer Trends und Schönheitsvorstellungen, gerade in der Adoleszenz sind Körper das zentrale Medium zur Präsentation von Individualität und Charakter.3 Dabei ist auch die Präsentation des Geschlechts für die Jugendlichen essenziell. So formen sich geschlechtliche Schönheitsnormen, welche tendenziell von allen Mitgliedern derselben Peergroup getätigt werden – wodurch das Bild entsteht, sie würden alle gleich aussehen.
Zur Sozialisation als Mädchen
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ lautet der wohl bekannteste Satz der französischen Philosophin Simone de Beauvoir.4 Eine Frau sei also nicht schon von Zeugung an eine weibliche Person, sondern werde erst durch die Erziehung zum weiblichen Individuum – mit allen dazugehörigen Verhaltens-, Denk-, und Orientierungsimplikationen.
Einen ähnlichen Ansatz wie Beauvoir verfolgt der ebenfalls französische Autor, Erziehungswissenschaftler und Soziologe Pierre Bourdieu. Auch er geht davon aus, dass die Einstellungen, Verhaltensweisen und Denkmuster einer Person durch Sozialisierung dem Individuum anerzogen werden. Die Summe all dieser erlernten Verhaltensweisen benennt er als Habitus. Dieser werde durch Generationen hinweg weitergegeben und begrenze den möglichen Denk- und Verhaltenshorizont der Individuen.5 Bourdieu erklärt also das kollektive Verständnis von Individualität dadurch, dass Personen aus derselben Klasse, und ihre Vorfahren,für gewisse Verhaltensweisen bestraft und für andere belohnt werden, wodurch sie erlernt haben, sich in gewisser Weise zu verhalten, zu kleiden oder zu sprechen. Außerhalb dieses vorgegebenen Horizonts lasse es sich nicht denken und somit auch nicht agieren.6
Nicht nur die Eltern oder andere Angehörige der sozialen Klasse haben Einfluss auf die „habituellen Erwartungen“ an die Akteur:innen: Auch die ökonomischen Bedingungen einer Gesellschaft übernehmen einen Teil der Sozialisationsarbeit. Die moderne Gesellschaftsform des 21. Jahrhunderts ist durch die kapitalistische Ökonomie gekennzeichnet. Dies bedeutet für die Akteur:innen, dass sie möglichst viel Kapital anhäufen sollen, um dem Idealbild des kapitalistischen Menschen zu entsprechen.7 Im Kapitalismus wird auch das Aussehen der Individuen, der Körper und das Erscheinungsbild, zum ökonomischen Gut, wodurch dieser als grundsätzlich optimierungsbedürftig definiert wird. Die Akteur:innen sollen ihren Körper durch Anhäufung von Konsumgütern optimieren – dies verspricht wiederum die Optimierung der eigenen Identität durch die Optimierung der Schönheit. Wer nicht dem Schönheitsideal entspricht, ist selbst schuld – denn schließlich könnte jede:r Konsumgüter erwerben und Arbeiten am Körper tätigen, jede:r ist seines:ihres Glückes Schmied:in. Somit sind alle Akteur:innen frei, ihre Entscheidungen zu treffen und sich so oder anders zu verhalten, oder zu kleiden – gänzlich konträr zum Konzept des Habitus. Zumindest laut der Idee des neoliberalen Menschenbildes, welches auf der kapitalistischen Ökonomie aufbaut und dieses bedingt. Denn ohne die neoliberale Vorstellung, jeder Mensch wäre für das eigene Versagen oder den eigenen Erfolg selbst verantwortlich und strukturelle Marginalisierungen gäbe es nicht, könnte die kapitalistische Ökonomie ihre Wirkmächtigkeit nicht derart entfalten. Diese angenommene Freiheit von gesellschaftlichen oder strukturellen Ungleichheiten verfügt gleichzeitig über einen emanzipativen und einen normierenden Charakter: Einerseits haben die Individuen per Gesetz die Freiheit, ihre individuellen Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig wirkt dieser Freiheit die Sozialisation entgegen – niemand möchte als Versager:in dastehen, weil die Person nicht das Beste (ergo das der sozialen Positionierung angemessenste) aus sich herausgeholt hat.
Die Sozialisation zum Schön sein
Wenn also Mädchen bzw. Frauen als solche erzogen werden und dies innerhalb einer kapitalistischen und neoliberalen Gesellschaft, wird dadurch impliziert, dass auch ihr Schönheitshandeln und ihre Normvorstellungen von Schönheit und Weiblichkeit innerhalb dieser Machtstrukturen entstehen. Um als Frau, sozusagen als „das schöne Geschlecht“, von der Peergroup anerkannt zu werden, bedarf es also einer Anpassung an die geschlechtlichen Normen und einen Ausdruck derer im Habitus. Dahingehend bedarf es demnach Schönheitshandlungen, welche freiwillig getätigt werden sollen (um sich nicht als Unterdrückte der gesellschaftlichen Normen zu erfahren) und gleichzeitig den Normen der Peergroup entsprechen sollen, um nicht negativ aufzufallen und dadurch soziale Konsequenzen zu erwarten. Dabei gilt es, stets die richtigen Schönheitshandlungen auszuwählen, um sich dem eigenen sozialen Feld entsprechend zu präsentieren.
Somit sind Schönheit und deren Ausdruck kein Produkt individueller Präferenzen, sondern Ergebnis intensiver Arbeit – weswegen Alligatoah unrecht hat: Um schön zu sein und als schön anerkannt zu werden, muss man einiges können. Dies stellt schon eine Leistung an sich dar.
Zur Autor*in
Hannah Beer ist Absolventin des Master-Studiengangs Gender, Kultur und Sozialer Wandel an der Uni Innsbruck.
Quellen:
1 Nina Degele, „Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln“, 1. Auflage. (Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004), S. 9
2 Waltraud Posch, „Projekt Körper. Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt“, (Frankfurt, New York: Campus Verlag, 2009), S. 16
3 Yvonne Niekrenz, Matthias D. Witte, „Zur Bedeutung des Körpers in der Lebensphase Jugend“, In: Jugend und Körper. Leibliche Erfahrungswelten, hrsg. Von Niekrenz und Witte (München: Juventa Verlag, 2011), S. 7-23
4 Simone de Beauvoir, „Das andere Geschlecht“, 17. Auflage (Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag), S. 333
5 Pierre Bourdieu, „Entwurf einer Theorie der Praxis. Auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft“, 2. Auflage 2009 (Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1979), S. 165-168
6 Ebd.
7 Gerhard Willke, „Kapitalismus“ (Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2006), S. 16