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Aktivismus

„No Pride For Some of Us Without Liberation For All of Us“: Die Geschichte und Gegenwart der Pride

Text von Magdalena Lohfeyer

Zwei Arme werden von einem regenbogenfarbenen Licht angestrahlt.
Photo by cottonbro on Pexels.com

Der Pride-Monat Juni und damit zahlreiche Veranstaltungen und Demonstrationen liegen hinter uns. Warum wir Regenbogenparaden und Christopher Street Days überhaupt im Juni feiern, welche Rolle eine Bar in New York City dabei spielt und wer Marsha P. Johnson war, wird dieser Beitrag klären. Dabei wollen wir auch einen kritischen Blick wagen, alternative Ideen aufgreifen und uns auf den Tiroler CSD freuen.

Die Stonewall-Aufstände 1969

Wir blicken zurück auf das Jahr 1969 und eine kleine Schwulenbar mit dem Namen “Stonewall Inn” in der Christopher Street im Greenwich Village, einem Stadtteil an der West Side von Manhattan in New York City. Zu dieser Zeit waren gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie Sexarbeit in New York City nicht erlaubt, im Greenwich Village gab es jedoch beides in Hülle und Fülle. Ein wichtiges kulturelles Zentrum für die LGBTIQ*-Community waren damals Schwulen- und Dragbars. Durch den Einsatz von Aktivist*innen wurde 1966 der Ausschank von Alkohol an Homosexuelle in den USA legalisiert, zuvor war dies mit der Begründung, dass es ihre „Laster fördere“ verboten. Mit dieser Maßnahme wurde die Existenz von Schwulenbars praktisch legalisiert. Nichtsdestotrotz blieben Schwulenbars und deren queere Besucher*innen im Visier der New Yorker Polizei. Es kam immer wieder zu Verhaftungen und selbst eine Versammlung von „Homosexuellen“ konnte als „ordnungswidriges Verhalten“ geahndet werden. Die öffentliche Zurschaustellung von Zuneigung zwischen gleichgeschlechtlichen Personen konnte jederzeit zu einer Verhaftung führen – ganz nach Ermessen der Polizei. Des Weiteren wurden etwa Betreiber*innen von Schwulen- und Dragbars Schanklizenzen verwehrt, da dies dem Versammlungsverbot von Homosexuellen und anderen queeren Personen widersprochen hätte. Dies zeigt deutlich welcher strukturellen Diskriminierung LGBTIQ*-Personen ausgesetzt waren (und leider oft noch sind). Kriminelle Gruppen, etwa die Mafia, erkannte hier ein Geschäft für sich: LGBTIQ*-Personen wollten einen sicheren Raum. Die Mafia ermöglichte ihnen diesen und verdiente dadurch gutes Geld1.

Nun kommen wir aber wieder zurück zu der kleinen Schwulenbar im Greenwich Village. Am 28. Juni 1969 wurden die Gäste des Stonewall Inn in der Christopher Street von einer Razzia durch das New Yorker Police Departement (NYPD) überrascht. Die Beamt*innen entdeckten im Zuge dieser Durchsuchung illegal geschmuggelten Alkohol sowie Personen, die unerlaubterweise Kleidung trugen, welche nicht ihrem Geschlecht bzw. ihrer Geschlechterrolle angemessen waren. Zur damaligen Polizeipolitik gehörte die Entkleidung und gewaltsame Genitaluntersuchung von solchen als “Cross-Dresser” verdächtigten Personen, darunter Drag Queens, Butch-Lesben und trans* Personen. Die genauen Einzelheiten des Abends sind umstritten, laut den Nachbar*innen und Augenzeug*innen kam es vor dem Stonewall Inn zu gewaltvollen Festnahmen. Die Polizei ging mit scheinbar schamloser Brutalität gegen die unbewaffnete Menge vor. Diese jedoch wehrte sich und begann die Beamt*innen mit Gegenständen zu bewerfen. Der “Legende” nach, war es dann ein Ziegelstein, welcher von Protestierenden geworfen wurde und den Beginn der historischen Stonewall Inn-Aufstände kennzeichnete. Die Aufstände dauerten fünf Tage an und hatten Auswirkungen auf den Kampf für LGBTIQ*-Rechte auf der ganzen Welt2.  

Christopher Street Liberation Day

Am 28. Juni 1970, ein Jahr nach dem Widerstand gegen die Polizei, kamen zahlreiche Menschen zurück zum Stonewall Inn und begründeten den „Christopher Street Liberation Day“. Dieser erste Gedenkmarsch diente als Startschuss und Katalysator für Veranstaltungen und Bewegungen zugunsten von LGBTIQ*-Rechten auf der ganzen Welt3. Der Name erinnert dabei an die Straße, in der sich das Stonewall Inn noch heute befindet. In den USA hat sich mittlerweile “(Gay) Pride” als Bezeichnung durchgesetzt, im deutschsprachigen Kontext ist meist von Christopher Street Day (CSD) oder Regenbogenparaden die Rede. Der erste deutsche CSD wurde 1979 am zehnten Jahrestag der Stonewall-Aufstände in Berlin begangen4. Inzwischen finden die Gedenkmärsche in Deutschland und Österreich nicht mehr genau am Jahrestag der Aufstände statt, sondern an den Wochenenden von Juni bis August. Die politischen Demonstrationen anlässlich des Christopher Street Days werden von unterschiedlichen Organisationen geplant und durchgeführt und meist um Kundgebungen sowie Auftritte von Künstler*innen erweitert. Zusätzlich zur politischen Botschaft der CSD wird dort gefeiert. Dieses Feiern der eigenen Lebensweise begründet sich aus der CSD-Geschichte: Lesbische, schwule, trans*, nichtbinäre und queere Menschen zeigen, dass sie selbstbewusst ihre geschlechtliche und sexuelle Identität leben5.

Ebenfalls in Anlehnung an die Stonewall-Aufstände trägt der Monat Juni den Beinamen „Pride-Month“, was vor allem durch Veranstaltungen und die vermehrte Sichtbarkeit von Regenbogen- bzw. Pride-Flaggen, u.a. im Innsbrucker Stadtbild, symbolisiert wird. Im Jahr 2015 hat die Stadt New York das Stonewall Inn zum städtebaulichen Denkmal erklärt und zum 50. Jahrestag der Aufstände entschuldigte sich der Chef des NYPD bei einer Pressekonferenz für das polizeiliche Vorgehen im Juni 19696.

Marsha “Pay It No Mind” Johnson

Die Geschichte des CSD wird oft auch als Anfänge der Schwulen- und Lesbenbewegung betitelt. In dieser Formulierung werden jedoch zentrale Figuren und Gruppen der Bewegungen und Kämpfe außen vorgelassen, nämlich trans* Personen, Drag Queens und Kings und viele mehr. Eine zentrale Figur der Stonewall-Aufstände und im Kampf für die Rechte von LGBTIQ*-Personen war Marsha P. Johnson. Marsha war eine junge Schwarze trans* Frau und selbsterklärte Drag Queen sowie Aktivistin und Sexarbeiterin in New York City. Sie nannte sich zuerst „BLACK Marsha“, später dann Marsha P. Johnson. Das „P“ stand für „Pay It No Mind“, was Marsha als Antwort auf Fragen zu ihrem Geschlecht zu sagen pflegte7. Gemeinsam mit ihrer engen Freundin und Mitstreiterin Sylvia Rivera, einer Latina trans* Frau, gründete Marsha 1970 die Street Transvestite Action Revolutionaries (STAR). Sie setzten sich für Sexarbeiter*innen, Gefangene, Drogenkonsument*innen, Obdachlose, psychisch Kranke, trans* Personen und Menschen mit HIV und AIDS ein. Dieser Einsatz, sowie Marshas und Sylvias persönliche Identitäten führte jedoch auch zu Verunglimpflichungen und Ausschlüssen, auch den eigenen Reihen. 1973 wurden die Beiden von der New Yorker Pride Parade ausgeschlossen, mit der Behauptung, dass Drag Queens und „Transvestiten“ der Schwulenbewegung „einen schlechten Ruf“ verschaffen würden. Aus Protest marschierten Johnson und Rivera bei der Parade schließlich vorne weg8. Im Jahr 2019 gab die Stadt New York City bekannt, dass Marsha P. Johnson zusammen mit Sylvis Rivera ein Denkmal gewidmet wird, das von der öffentlichen Kunstkampagne „She Built NYC“ in Auftrag gegeben wurde. Dieses Denkmal wird das erste in New York City sein, das trans* Frauen* ehrt9.

Ausschlüsse, Kommerzialisierung und eine transgeniale Alternative

Pride-Veranstaltungen und Christopher Street Days dienen der Demonstration und Feier gegen Diskriminierung und für Gleichstellung, Akzeptanz und Toleranz10. Inwiefern Angehörige der LGBTIQ*-Community diesen Raum annehmen und einnehmen, hängt jedoch stark mit Privilegien und Fragen der Intersektionalität zusammen. Etwa weiße schwule cis Männer haben und nehmen sich in der Regel den Platz in der queeren Community und auf Events11. Für weniger privilegierte Mitglieder der LGBTIQ*-Community können sich diese Räume der Akzeptanz und Toleranz hingegen unwillkommen und feindselig anfühlen. In Hinblick auf queere People of Color und insbesondere queere Women* of Color fehlt es an Repräsentation und Safe Spaces. Die Organisation “No Justice No Pride” beklagt, dass Veranstalter*innen Organisationen einbeziehen, welche unverhältnismäßig stark auf farbige Gemeinschaften abzielen, wie etwa das Federal Bureau of Investigations (FBI). Darin sehe man eine starke Diskrepanz zwischen den gegenwärtigen Events und der politischen und intersektional geprägten Geschichte der Pride12. Ähnlich wie Marsha und Sylvia in den 1970er-Jahren erleben Teile der queeren Community auch heute noch explizite Ausschlüsse auch aus den eigenen Reihen. 2021 verkündete der CSD Bremen auf seiner Website, dass queere Fetischdarstellungen im Rahmen der Demonstration verboten seien. Dieser Ausschluss wurde damit begründet, dass das Darstellen von Fetischen als nicht hilfreich erachtet wird, wenn bei derselben Demonstration auf Themen wie Rechte für trans* Menschen, Asyl und Krankenversorgung für LGBTIQ* hingewiesen werden soll. Dies betreffe vor allem Fetische, welche “sexuell gelesen” werden könnten. Als Reaktion auf heftige Kritik ersetzten die Veranstalter*innen des CSD Bremen das Fetischverbot durch ein Verbot der Darstellung sexueller Handlungen13.

Neben den Debatten über Ausschlüsse und fehlende Safe Spaces, stehen CSD-Veranstaltungen auch  in der Kritik einer zunehmenden Kommerzialisierung. Insbesondere während dem Pride-Monat Juni konkurrieren die Unternehmen in Marketingkampagnen um deutliche Bekenntnisse zu Toleranz und Vielfalt und auf Social-Media-Kanälen und zahlreichen Produkten finden sich die Farben der Regenbogenfahne. Einerseits geht damit eine hohe Sichtbarkeit für die LGBTIQ*-Community einher, andererseits verschwinden die Regenbogenfarben mit Beginn des Julis meist von einen auf den anderen Tag. Inzwischen sind viele Unternehmen auch auf den Paraden selbst vertreten, gestalten Paradewägen und verteilen Merchandise-Artikel, eine Entwicklung die Kritiker*innen als Kommerzialisierung von CSD- und Pride-Veranstaltungen verstehen. Im weiteren Kontext begreift Anamitra Bora in “Queer Liberation: Politics of Rainbow Capitalism and Commodity Culture” die Beziehung zwischen Pride und dem kapitalistischen Staat als tiefliegendes Problem. So würde Queerness “gesellschaftsfähig” werden, aber eben nur wenn es auf einer Anpassung beruht, welche die heterosexuellen Vorstellungen des Patriarchats und des Kapitalismus stützt. Dazu zählen etwa klassische Ideen von Männlichkeit und Weiblichkeit innerhalb homosexueller Beziehungen und Ideale heterosexueller Lebensstile wie die (gleichgeschlechtliche) Ehe, Elternschaft,  und Monogamie14. Lisa Duggan spricht hier von Homonormativität, abgleitet vom Begriff der Heteronormativität. Jene queeren Menschen, die sich dieser Anpassung entziehen oder denen diese Anpassung nicht gelingt, müssen mit Sanktionen wie etwa Ausschlüssen rechnen15. Das kann insbesondere trans* und nichtbinäre Menschen sowie Queers of Color treffen.

Als Reaktion auf die Kommerzialisierung, die politische “Weichwaschung” und das fehlende Problembewusstsein gegenüber der Verschränkung verschiedener Diskriminierungsformen innerhalb des CSD, fand zwischen 1997 und 2013 der alternative T*CSD in Berlin statt. Das T* steht dabei für “Transgenial”. Im Gegensatz zum CSD waren Kundgebungen von Politiker*innen, sowie die Teilnahme von profitorientierten Unternehmen an der Demonstration unerwünscht. Der Transgeniale*CSD wurde von einer offenen Organisationsgruppe basisdemokratisch gestaltet. Thematisch befasste sich der der T*CSD mit vielfältigen Themen, etwa Armut und Rassismus16. Die Kritik an einer sehr weißen und homonormativen Pride-Community hat in den vergangenen Jahren auch zur Gestaltung der “Progressiven Pride-Flagge” geführt. Das Regenbogen-Design aus den 1970er-Jahr wurde zuerst durch schwarze und braune Streifen erweitert, um Queers of Color und ihre Lebensrealitäten sichtbarer zu machen. Dann wurde das Design verändert und um die Farben der Trans*bewegung (hellblau, rosa und weiß) erweitert. Und schließlich wurde durch der Organisation Intersex Equality Rights UK in Zusammenarbeit mit Valentino Vecchietti die Symbolik der Inter-Bewegung in die Pride-Flagge aufgenommen17.

Tiroler Christopher Street Day in Innsbruck

In Innsbruck wird seit dem Jahr 2010 jährlich der Christopher Street Day begangen, veranstaltet wird der CSD von der Homosexuellen Initiative (HOSI) Tirol. Davor gab es bereits das Pride-Event “Inn-Love”, das Mitte der 2000er-Jahre startete18. Dieses Jahr findet das Innsbrucker CSD am 30.07.2022 unter dem Motto „Gipfel der Vielfalt – wir sind bunt und wir sind viele!“ statt. Mehr Informationen dazu findet ihr in Kürze auf der Homepage CSD Innsbruck 2022.

Wie die Geschichte der Stonewall-Aufstände, die Kämpfe von Marsha P. Johnson und ihren Mitstreiter*innen und die kontroversen Debatten um Ausschlüsse und Kommerzialisierung zeigen: Pride war, ist und bleibt hochpolitisch. Für eine Gesellschaft der Gleichstellung, Akzeptanz und Toleranz muss weitergekämpft werden, denn um es in von Marsha geprägten Worten zu sagen: „No Pride For Some of Us Without Liberation For All of Us“.

In diesem Sinne, save the date: CSD in Innsbruck am 30.07.2022!

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Quellen:

1 Bundeszentrale für politische Bildung. „Die Geburtsstunde des „Gay Pride.““ June 28, 2019. https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/292948/die-geburtsstunde-des-gay-pride/

2 History. “Stonewall Riots.” 31.05.2017. https://www.history.com/topics/gay-rights/the-stonewall-riots

3 Amnesty International. “50 Jahre Stonewall, 50 Jahre Kampf gegen Diskriminierung.“ 28.06.2019. https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/vereinigte-staaten-von-amerika-50-jahre-stonewall-50-jahre-kampf-gegen

4 Bundeszentrale für politische Bildung. 2019.

5 Christopher Street Day Freiburg. https://freiburg-pride.de/ueber-uns/was-ist-csd/ Zugriff am 01.07.2022

6 Bundeszentrale für politische Bildung. 2019.

7 Marsha P. Johnson Institute. “About MPJI.” https://marshap.org/about-mpji/. Zugriff am 01.07.2022.

8 Petrovnia, Alexander. “Cops Don’t Belong at Pride, “Unseemly” Queer People Do – Marsha P. Johnson and the failures of queer respectability.” 21.05.2021. https://medium.com/prismnpen/marsha-p-johnson-and-the-failures-of-queer-respectability-13f791becf90

9 Women.nyc. “She Built NYC: Seven Trailblazers Selected for Monuments Around City.” https://women.nyc/she-built-nyc/ Zugriff am 01.07.2022.

10 CSD Rhein-Neckar. “Was ist CSD – Christopher Street Day?” https://www.csdrn.de/was-ist-csd Zugriff am 01.07.2022.

11 Zane, Zachary. “Bisexual people have long felt excluded at Pride festivities. That’s finally changing.” 07.06.2019. https://www.washingtonpost.com/lifestyle/2019/06/07/bisexual-people-have-long-felt-excluded-pride-festivities-thats-finally-changing/

12 Levy, Genelle. “How Queer Women of Color Are Systemically Excluded From Pride Celebrations.” 27.06.2018. https://www.them.us/story/queer-women-of-color-pride-exclusion

13 Queer Communications. „Entsetzen über Fetischverbot beim CSD Bremen.“ 17.07.2021.https://www.queer.de/detail.php?article_id=39475

14 Bora, Anamitra. “Queer Liberation: Politics of Rainbow Capitalism and Commodity Culture.” 04.09.2021. https://doingsociology.org/2021/09/04/queer-liberation-politics-of-rainbow-capitalism-and-commodity-culture-anamitra-bora/

15 Yolanda Martínez-San Miguel, Sarah Tobias (Hrsg.): Trans Studies: The Challenge to Hetero/Homo Normativities. Rutgers University Press, 2016.

16 Transgenialer CSD Berlin. „Geschichte“. https://transgenialercsd.wordpress.com/geschichte/. Zugriff am 03.07.2022.

17 Clarke, Kevin. „Neue Version der Pride-Fahne nimmt Inter-Symbolik auf.“ 08.06.2021. https://mannschaft.com/progress-pride-flagge-nimmt-intersex-symbolik-auf/

18 HOSI Archiv


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