Gastbeitrag von Elisabeth Grabner-Niel

„etwas läuft falsch“ – „etwas läuft falsch“ – „etwas läuft falsch“ – „etwas läuft falsch“ – „etwas läuft falsch“… oder was denkt ihr, wenn ihr folgende Zahlen hört: „Laut Jahresbericht 2021 des Gewaltschutzzentrums Tirol gab es 1.086 polizeiliche Meldungen und es wurden 996 Betretungsverbote verhängt. 1.559 Personen, davon 1.206 Frauen (83,1%) und 263 Männer (16,9%) wurden im Jahr 2021 als Opfer häuslicher Gewalt oder von Stalking vom Gewaltschutzzentrum beraten und unterstützt. Jedoch wird die Dunkelziffer auf das Zehnfache geschätzt, da Betroffene sich nur in etwa einem von zehn Fällen an eine Beratungsstelle oder die Polizei wenden.“1 Femizide bilden nur die Spitze des Eisbergs ab. Mit Stand 17.10.2022 geben die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser 28 Femizide an.2 Die Formen von Gewalt an Frauen* und Mädchen* sind sehr unterschiedlich: Sie reichen von physischer über psychische, sexualisierte und ökonomische, bis hin zu struktureller Gewalt.
LUNGOMARE, eine Plattform für Kulturproduktion und Gestaltung in Bozen, hat im Rahmen der Ausschreibung Kunst im öffentlichen Raum der Künstler*innenvereinigung der Tiroler Künstler*innenschaft das Projekt #etwasläuftfalsch entwickelt. Drei Künstler*innen (Stefanie Sargnagel, Katerina Šedá und Aldo Giannotti) erarbeiteten in enger Zusammenarbeit und im Austausch mit drei Tiroler Einrichtungen aus dem Bereich Opferschutz und Prävention (Männerberatung Tirol, Frauenzentrum Osttirol und Verein Frauen gegen VerGEWALTigung) mehrere Plakate, die vom 1. Oktober bis 30. November 2022 im öffentlichen Raum in Tirol auf Litfaßsäulen, an Haltestellen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Plakatwänden zu sehen sind und zur Auseinandersetzung mit patriarchaler Gewalt anregen sollen. In zwei Haltestellengesprächen (am 14.10 und am 25.11.) werden Interessierte zum Diskutieren mit an diesem Projekt Beteiligten eingeladen. Es geht dabei um Fragen wie „Was lösen die Plakate in uns aus und wie können wir über Gewalt an Frauen sprechen? Mit welchen Botschaften werden wir hier konfrontiert?“ und allem, was die Teilnehmenden einbringen.
Auf dem von der tschechischen Künstlerin Katerina Šedá entwickelten Plakat werden durch Elemente einer Stellenanzeige Rollenklischees und traditionelle Ungleichheiten angesprochen, die oft in geschlechtsspezifische Abhängigkeiten und möglichen fatalen Folgen münden. Aldo Giannottis Plakatserie verweist auf physische Kräfteverhältnisse, mit denen wir alltäglich konfrontiert sind: das Geschlecht und Muskeln. Die einfachen Zeichnungen werden mit handgeschrieben Fragen umrahmt und provozieren dazu sich zu positionieren: Wann wird körperliche Kraft zu einem Instrument der Macht? Stefanie Sargnagel wiederum lenkt mit ebenfalls provokanten, einfachen Sätzen das Denken auf das Thema Femizide, auf die Hierarchien, die diesen Gewalttaten zugrunde liegen, und sie spielt mit Märchen und Realität: Viele Beziehungen beginnen traumhaft und kippen ins Gegenteil.
Die Kampagne #etwasläuftfalsch3 nutzt Plakatflächen in Städten und in Dörfern, in Verkehrsmitteln und an Haltestellen, die ansonsten zu Werbezwecken beklebt werden. Mit dieser Aktion sollen Gedanken, Auseinandersetzungen, Positionierungen und Gespräche zu einer tief verwurzelten gesellschaftlichen Struktur angeregt werden und Sexismus, Diskriminierung und Gewalt an Frauen im öffentlichen Raum klar angesprochen werden.
Ein kritischer Einwand kommt von Menschen aus dem queeraktivistischen Bereich: In dieser Plakatserie wird eine soziale und vergeschlechtlichte Binarität verwendet, die in ihrer Plakativität Gefahr läuft, in herkömmlichen Rollenbildern zu verharren; oder sie auch gerade durch ihre starke Betonung zur Diskussion herausfordert?
Auf jeden Fall ein aufregendes Kunstprojekt im öffentlichen Raum.
Autorin
Elisabeth Grabner-Niel war von 2002 – 2016 im Bereich Gender Studies an der Universität Innsbruck tätig und engagiert sich nun ehrenamtlich im AEP Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft, wo sie an der Herausgabe der AEP Informationen maßgeblich beteiligt ist und dazu Sendungen auf FREIRAD gestaltet.
Anmerkungen
1 Presseunterlagen Lungomare Bozen 19.09.2022 zur Kampagne #etwasläuftfalsch
2 https://www.aoef.at/images/04a_zahlen-und-daten/Frauenmorde-2022_Liste-AOEF.pdf
3 Genaue Informationen zu den Künstler*innen, den Plakaten und dem Projekt unter https://etwaslaeuftfalsch.it/