Gastbeitrag von Claudia Posch und Karoline Irschara

Das neue Jahr beginnt wieder einmal mit dem sprichwörtlichen weißen Mann, der gegen das sogenannte Gendern medial ausreitet. Diesmal ist es ein grüner Ministerpräsident in Deutschland, der jene talking points zu Sprache, die normalerweise von den (extremen) Rechten kommen, wiedergibt. Doch was hat es mit diesem wiederkehrenden Ablehnen geschlechtergerechter Formulierungsmöglichkeiten auf sich? Gibt es überhaupt eine Verbindung von sprachlichen Formen und Geschlecht(lichkeit)? Wie lässt sich der Zusammenhang von Sprache und Gender überhaupt erforschen? Sind nicht-männliche Menschen überhaupt in der Sprache repräsentiert und wenn ja, wie?
Die Forschungsgruppe Language and Gender am CGI beschäftigt sich mit diesen Fragen im Rahmen des Forschungsgebiets der Feministischen Linguistik. Die aktuelle Forschung innerhalb der Feministischen Linguistik ist ein diverses und komplexes Forschungs- und Betätigungsfeld und wir möchten in diesem Blogbeitrag einige Bereiche daraus kurz vorstellen.
Feministische Linguistik ist definiert als ein Gebiet innerhalb der Sprachwissenschaft, das sich zunächst ab den 1980er Jahren aus einer Sprachkritik am sogenannten generischen Maskulinum entwickelt hat [2][3]. Dieser Begriff meint die Verwendung der männlichen Form (e.g. ‚Mitarbeiter‘) für alle Personen in Sätzen wie beispielsweise „Jeder Mitarbeiter ist gleich wichtig.“. Es ist jene Form, die oft als mitmeinend gedeutet wird. Im deutschen Sprachraum haben hier Luise Pusch [4][5][6][7][8] sowie Senta Trömel-Plötz[9][10][11][12] kritisiert, dass es hier im Sprachsystem eine Assymmetrie gibt und versucht Vorschläge zu machen, wie man diese Ungleichheit verbessern könnte. Seitdem sind viele Leitfäden [13] erschienen, unterschiedlichste Vorschläge gemacht worden und zahlreiche Debatten geführt worden. Und schon damals wurden die immer gleichen Argumente gegen einen Eingriff in das Sprachsystem genannt, die eigentlich längst widerlegt sind und trotzdem auch heute noch vorgebracht werden: sprachliche Veränderung sei zu kompliziert, die Lesbarkeit oder gar die Sprache gefährdet, Sprachwissenschaft dürfe nicht politisch sein, niemand gezwungen werden usw.
Es gilt in der heutigen Forschung als gesichert, dass das Maskulinum die Funktion „für alle“ stehen zu können nur unzureichend erfüllt, es ist also bestenfalls pseudogenerisch ([14][15][16][17]). Menschen können sich beim Hören und Lesen der maskulinen Form einer Personenbezeichnung schwer eine neutrale Person vorstellen – sondern stellen sich eben hauptsächlich männliche Personen vor. Andererseits ist der Zusammenhang von Geschlecht(lichkeit) und der grammatikalischen Kategorie Genus (also dem grammatikalischen ‚Geschlecht‘) viel komplexer als bisher angenommen und erstreckt sich teilweise sogar bis in das Deklinationssystem, wie beispielsweise Damaris Nübling zeigen konnte[18][19].
Studien, die sich mit der Frage beschäftigen welche Faktoren die Verwendung geschlechtergerechter Sprache beeinflussen bzw. wie diese Formen rezipiert werden, zeigten, dass Texte die „gegendert“ sind nicht automatisch schlechter lesbar sind[20][21][22] sondern dass explizite Verweise auf weibliche Formen und jüngst auch Vorschläge für den Einbezug von weiteren Identitäten eher grundsätzlich abgelehnt werden [23][24][25].
Wir als Forschungsgruppe versuchen nun in unserer aktuellen Forschung eine neue Herangehensweise. Bisher wurde die Fragestellung danach wie weibliche Personen sprachlich (in Texten) repräsentiert sind vor allem qualitativ untersucht. Mit der Entwicklung neuer Methoden innerhalb der Linguistik, z.B. im Rahmen der Digital Humanities und Korpuslinguistik, haben sich auch für die Forschung im Bereich Sprache und Geschlecht neue Wege eröffnet. Wir können nun mit großen Textmengen arbeiten und kommen so zu statistisch signifikanten Ergebnissen. Wir können anhand des tatsächlichen Gebrauchs auswerten, ob und wie Personen, die nicht männlich sind, in Texten vorkommen. Gemeinsam mit unseren Studierenden arbeiten wir an unterschiedlichsten Textsorten, um einerseits ein möglichst differenziertes Bild vom tatsächlichen Gebrauch geschlechtergerechter Sprachformen zu erhalten und andererseits feststellen zu können, ob und was sich im Lauf der Zeit auch etwas geändert hat an der Repräsentation von Geschlecht in öffentlichen Texten. In unserer Forschungsgruppe versuchen also wir neue Wege zu finden in großen Textmengen automatisiert Referenzen auf nicht-männliche Personen zu finden und auszuwerten. Selbstverständlich arbeiten wir weiterhin auch qualitativ. Uns treibt beispielsweise die Frage um, wie über geschlechtergerechte Sprache debattiert wird und welche Rolle sie im Alltag der Menschen spielt. Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit sprachlichen Äußerungen auf deutsch, arbeiten aber auch sprachvergleichend, beispielsweise mit Ungarisch[26], Tschechisch[27], Englisch uvm. Im Folgenden stellen wir kurz einige Forschungsprojekte und Interessen unserer Gruppe vor.
Mit unserem großen Textkorpus Alpenwort (19 Mio. Wörter), der in einem Gemeinschaftsprojekt mit dem österreichischen Alpenverein entstanden ist, konnten wir beispielsweise zeigen, dass es in der Zeitschrift des Alpenvereins (1870 – 2010) eine nachweisbare Veränderung in Bezug auf Geschlechterrepräsentation gibt: Seit den 1970er Jahren gibt es vermehrt Artikel, die von Autorinnen geschrieben wurden. Aber: Ein Großteil der von Autorinnen geschriebenen Texte beschäftigt sich im Speziellen mit der Rolle der Frauen bzw. des Feminismus im Alpenverein. Das heißt, „Frauenalpinismus“ ist zwar als Sonderthema stärker repräsentiert, jedoch lässt sich bei den feminismusbezogenen Texten kein nennenswerter Anstieg weiblicher Repräsentation erkennen.[28] In einem weiteren Projekt schlagen wir eine Brücke zu den Medical Humanities und arbeiten mit einem noch umfangreicheren Datensatz, der sich aus medizinischen Befunden zusammensetzt (2007-2019) Hier untersuchen wir ob sich sprachlich Spuren gendermedizinischer Benachteiligungen niederschlagen. Dabei zeigt sich zum Beispiel, dass auf Frauen in manchen Befundarten immer noch überwiegend im pseudogenerischen Maskulinum Bezug genommen wird. Abgesehen davon lassen sich zwischen den Befundtexten für Männer wie Frauen zwar viele Ähnlichkeiten ermitteln, punktuell tauchen jedoch auch in dieser sehr standardisierten Textsorte subtile Unterschiede auf – manche Befundarten enthalten etwa eine größere Anzahl an vorgefertigten Textbausteinen, insbesondere wenn über Frauen berichtet wird. Außerdem wird der Prozess der Schmerzbeschreibung bei Frauen häufiger mit Mitteln der sprachlichen Relativierung versehen, als dies bei Männern geschieht.[29] In beiden Datensätzen sind alternative Geschlechtsidentitäten nicht repräsentiert bzw. können sie nicht untersucht werden. In der qualitativen Analyse beschäftigen wir uns ebenfalls mit historischen Zeitschriften und untersuchen, wie jüdische Frauen in Texten des frühen 20. Jahrhunderts diskursiv hergestellt werden. Das heißt also mit welchen Bezeichnungen wird auf Frauen in welchen Kontexten referiert und wie unterscheiden sich die Referenzen zu denen auf nicht-jüdische Frauen[30]. In einem ebenfalls qualitativ orientierten Dissertationsprojekt, das ebenfalls im Bereich der Medical Humanitites angesiedelt ist, werden Interviews mit Ärztinnen und Ärzten geführt, um deren Wissen zu Gender Medizin, Frauenförderung und geschlechtergerechter Sprache zu erheben.
Mit unserer Arbeit zeichnen wir so einerseits die Entwicklung der geschlechtergerechten Sprache nach und zeigen, dass diese bei weitem nicht so verbreitet ist, wie Gegner*innen lamentieren. Im Gegenteil, die praktische Umsetzung ist auf bestimmten Ebenen gar nicht vorhanden und eher halbherzig durchgeführt. Andererseits beobachten wir auch die Entwicklungen in den neuen Medien, wo junge Menschen kreativ und aktiv an Möglichkeiten arbeiten, sprachlich gerechter und inklusiver zu formulieren. Die Entwicklung feministisch linguistischer Anliegen geht also von einem rein akademischen Versuch auf politische Gesellschaftsebenen einzuwirken hin zu einer Graswurzel-Bewegung. Auch hier wird es zukünftig noch viel Forschungspotential geben.
Autor*innen
Claudia Posch ist Associate Professor*in und Karoline Irschara ist Doktorandin am Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Innsbruck
[2] Karin Wetschanow y Ursula Doleschal, «Feministische Sprachpolitik», en Sprachenpolitik in Österreich: Bestandsaufnahme 2011, ed. por Rudolf d. Cillia y Eva Vetter (Frankfurt am Main: Peter Lang Edition, 2013), 306–40.
[3] Claudia Posch, «Feministische Sprachpolitik in Österreich – Hot Topic oder Fail?», en Sprachenpolitik in Österreich. Bestandsaufnahme 2021., ed. por Rudolf d. Cillia, Martin Reisigl y Eva Vetter (de Gruyter, erscheint 2023).
[4] Luise F. Pusch, «Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, doch weiter kommt man ohne ihr. Eine Antwort auf Kalverkämpers Kritik an Trömel-Plötz‘ Artikel über ‚Linguistik und Frauensprache‘.», Linguistische Berichte 63 (1979).
[5] Luise F. Pusch, Alle Menschen werden Schwestern: Feministische Sprachkritik (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990).
[6] Luise F. Pusch, Die Frau ist nicht der Rede wert: Aufsätze, Reden und Glossen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999).
[7] Luise F. Pusch, «Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, doch weiter kommt man ohne ihr: Eine Antwort auf Kalverkämpers Kritik an Trömel-Plötz‘ Artikel über „Linguistik und Frauensprache“», en Sprache – Genus, Sexus, ed. por Heinz Sieburg (Frankfurt am Main, Berlin: Lang, 1997), 279–301.
[8] Luise F. Pusch, Das Deutsche als Männersprache: Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004).
[9] Senta Trömel-Plötz, «Linguistik und Frauensprache.», Linguistische Berichte, no. 57 (1978).
[10] Senta Trömel-Plötz, Frauengespräche: Sprache der Verständigung (Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 1996).
[11] Senta Trömel-Plötz, «Linguistik und Frauensprache», en Sprache – Genus, Sexus, ed. por Heinz Sieburg (Frankfurt am Main, Berlin: Lang, 1997), 235–57.
[12] Senta Trömel-Plötz, «Sprache: Von Frauensprache zu frauengerechter Sprache», en Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie, ed. por Ruth Becker, Barbara Budrich y Becker-Kortendiek (Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss., 2008).
[13] Karin Wetschanow, «Von nicht-sexistischem Sprachgebrauch zu fairen W_ortungen – Ein Streifzug durch die Welt der Leitfäden zu sprachlicher Gleichbehandlung.», en Sprache und Geschlecht, ed. por Constanze Spieß y Martin Reisigl (Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr Redaktion OBST, 2017), 33–59.
[14] Karolina Hansen, Cindy Littwitz y Sabine Sczesny, «The Social Perception of Heroes and Murderers: Effects of Gender-Inclusive Language in Media Reports», Frontiers in psychology 7 (2016), doi:10.3389/fpsyg.2016.00369.
[15] Lisa K. Horvath y Sabine Sczesny, «Reducing women’s lack of fit with leadership positions? Effects of the wording of job advertisements», European Journal of Work and Organizational Psychology 25, no. 2 (2016), doi:10.1080/1359432X.2015.1067611.
[16] Julia Misersky et al., «Norms on the gender perception of role nouns in Czech, English, French, German, Italian, Norwegian, and Slovak», Behavior research methods 46, no. 3 (2014), doi:10.3758/s13428-013-0409-z.
[17] Magdalena M. Formanowicz et al., «Capturing socially motivated linguistic change: how the use of gender-fair language affects support for social initiatives in Austria and Poland», Frontiers in psychology 6 (2015), doi:10.3389/fpsyg.2015.01617.
[18] Gabriele Diewald y Damaris Nübling, Genus – Sexus – Gender (de Gruyter, 2022).
[19] Damaris Nübling, Genus und Geschlecht: Zum Zusammenhang von grammatischer, biologischer und sozialer Kategorisierung (Mainz, Stuttgart: Akademie der Wissenschaften und der Literatur; Franz Steiner Verlag, 2020).
[20] S. Koeser, E. A. Kuhn y S. Sczesny, «Just Reading? How Gender-Fair Language Triggers Readers‘ Use of Gender-Fair Forms», Journal of Language and Social Psychology 34, no. 3 (2015), doi:10.1177/0261927X14561119.
[21] S. Koeser y S. Sczesny, «Promoting Gender-Fair Language: The Impact of Arguments on Language Use, Attitudes, and Cognitions», Journal of Language and Social Psychology 33, no. 5 (2014), doi:10.1177/0261927X14541280.
[22] Hansen, Littwitz y Sczesny, «Hansen et al. 2016».
[23] Vera Steiger-Loerbroks y Lisa von Stockhausen, «Mental representations of gender-fair nouns in German legal language: An eye-movement and questionnaire-based study», Linguistische Berichte 237 (2014).
[24] Heidemarie Pöschko y Veronika Prieler, «Zur Verständlichkeit und Lesbarkeit von geschlechtergerecht formulierten Schulbuchtexten», Zeitschrift für Bildungsforschung 8, no. 1 (2018), doi:10.1007/s35834-017-0195-2.
[25] Marcus C. G. Friedrich y Elke Heise, «Does the Use of Gender-Fair Language Influence the Comprehensibility of Texts?», Swiss Journal of Psychology 78, 1-2 (2019), doi:10.1024/1421-0185/a000223.
[26] Erika Kegyes y Claudia Posch, «Periphrastische Geschlechtsspezifikation im Ungarischen und Deutschen», en Kontrastive Studien zum Sprachpaar Deutsch–Ungarisch: Linguistische Betrachtungen ausgewählter systemlinguistischer und sprachkultureller Phänomene, ed. por Erika Kegyes Szerekes y Katharina Zipser (Hamburg: Verlag Dr. Kovač, 2022), 165–223.
[27] Jana Valdrová y Vít Kolek, «Die tschechische sprachwissenschaftliche Geschlechterforschung im Spiegel der böhmischen Fachzeitschriften Our Speech and Word and Verbs.», en Sprache und Geschlecht, ed. por Martin Reisigl y Constanze Spieß (Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr, 2017), 147–65.
[28] Claudia Posch, «Women, who climb – a corpus linguistic tour description with potential danger zones», Gender a Vyzkum – Gender and Research (accepted).
[29] Irschara, Karoline, «Using a Corpus-Assisted Discourse Studies approach to analyse gender: A case study of German radiology reports», Gender a Vyzkum – Gender and Research (accepted).
[30] Erika Kegyes, „Aus was für einem Stoff sind sie gemacht?“ Frauenbilder als formale und funktionale Konstruktionsmittel der Weiblichkeit. Diskursiv-rhetorische Analyse ausgewählter historischer Texte der ungarischen Bildkonstruktionskultur. (Innsbruck: iup, erscheint 2023).