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Tirol

Frauen an die Macht? Nicht wirklich.

Gastbeitrag von Lore Hayek und Sarah Dingler

Frauen-Statue
Photo by Simon Berger on Pexels.com

Aus der Sicht von Politikerinnen war der politische Herbst in Österreich ein unerfreulicher. Die Politikwissenschaftlerinnen Lore Hayek und Sarah Dingler analysieren in diesem Beitrag die Ergebnisse der Tiroler Landtagswahl und der Bundespräsident*innen-Wahl und inwiefern das Wahlsystem für Politikerinnen und die politischen Parteien zu einem Dilemma führen kann.

Bei der Tiroler Landtagswahl am 25.09.2022 trat nur eine einzige Frau als Spitzenkandidatin an, Andrea Haselwanter-Schneider von der Liste Fritz. Noch ist die Regierungsbildung nicht abgeschlossen, aber zum derzeitigen Zeitpunkt ist der Frauenanteil im Tiroler Landtag noch ein Stückchen niedriger als in der vorigen Periode: Statt 13 von 36 Abgeordneten sind nur mehr 12 Frauen, und das, obwohl mittlerweile alle Parteien außer FPÖ und NEOS eine Form von Reißverschlusssystem oder eine andere Form der genderparitätischen Listenerstellung praktizieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang wieder einmal die Rolle des Wahlsystems in Österreich1: Vorzugsstimmen können nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis dazu führen, dass eigentlich vorgereihte Frauen durch Männer von ihren Plätzen verdrängt werden. So geschehen bei der ÖVP im Bezirk Kufstein, wo die Bezirkslistenerste Astrid Mair das Mandat nicht erhält, sondern dem Bauernbündler Michael Jäger (2.870 Vorzugsstimmen) den Vortritt lassen muss. Die Parteien stehen hier in einem Dilemma, was den Respekt vor dem Wähler*innenwillen in Bezug auf direkt gewählte Kandidat*innen einerseits, und den Wunsch nach größtmöglicher Geschlechterparität andererseits betrifft. 

Gerade in Österreich haben Vereinigungen wie der Bauernbund einen großen Einfluss auf die Mobilisierung von Wähler*innen und dies unabhängig vom Geschlecht der Kandidat*innen. Im Jahr 2013 musste sich der Spitzenkandidat der ÖVP im Bezirk Waldviertel bei der Nationalratswahl mit dem zweiten Platz zufriedengeben, weil die Wähler*innen mit ihren Vorzugsstimmen deutlich die von dem Bauernbund unterstütze Martina Diesner-Wais favorisierten. Da die ÖVP ohnehin 2 Mandate hatte, musste in diesem Fall niemand auf das Mandat verzichten2. Diese Beispiele zeigen aber wieder einmal: Wenn sich Parteien tatsächlich der Geschlechterparität verschreiben, müssen sie entweder auch Frauen im Vorzugstimmenwahlkampf entsprechend unterstützen oder sicherstellen, dass mit internen Vereinbarungen gesetzlich fixierte Listen nicht zu Ungunsten von Frauen umgangen werden.

Immerhin bei der Bildung der Tiroler Landesregierung aus ÖVP und SPÖ soll, so die Bekundungen aus beiden Parteien, auf eine 50:50 Zusammensetzung geachtet werden. Ob und inwiefern dann Frauen auch prestigeträchtige bzw. einflussreiche Ressorts erhalten, oder wie oft in nationalen Regierungen eher die Bereiche mit weniger Einfluss übernehmen bleibt abzuwarten. Ein Wehmutstropfen kann eine ausgeglichene Regierung allerdings mit sich bringen: Wenn gewählte weibliche Landtagsabgeordnete in die Regierung aufrücken, so kann dies durch Nachrückungen – häufig Männer – zu einer weiteren Verschlechterung des Geschlechterverhältnisses im Landtag führen.

Auch die Bundespräsidentschaftswahl vom 09.10.2022 macht wenig Hoffnung für die Rolle von Frauen als politische Akteurinnen. Obwohl es mehr Kandidaten für das höchste Amt in Österreich gab als je zuvor, war unter ihnen keine einzige Frau. Dies ist das erste Mal seit 1986, dass nicht zumindest eine Frau auf dem Wahlzettel steht (2016 war es Irmgard Griss). Seit 1951 traten insgesamt sieben Frauen bei den 13 Bundespräsident*innenwahlen an – ihnen stehen mehr als viermal so viele Männer (29) gegenüber. Wiewohl dieser Umstand von Journalist*innen und Kandidaten immer wieder bedauert wurde, zeigt allein die Berichterstattung zur Bundespräsident*innenwahl, wie schnell Frauen marginalisiert werden, wenn sie nicht selbst politisch ganz vorne aktiv sind3: Selbst Medien, die sonst Wert auf geschlechtergerechte Sprache legen, wie der ORF oder der STANDARD, berichteten naturgemäß nur von „Kandidaten“ – immerhin eine sprachliche Lücke, die mittlerweile schon auffällt. In der Bevölkerung steht man dem Thema eher gleichgültig gegenüber: in der ATV-Wahltagsbefragung4 geben nur 28% an, dass es ihnen wichtig wäre, dass 2028 eine Frau Bundespräsidentin werde. Über 60 Prozent der Befragten finden eine Frau an der Spitze des Staates eher nicht oder gar nicht wichtig. Entsprechend scheint zumindest der Druck auf Parteien, eine Frau zu nominieren, seitens der Bevölkerung sehr gering.

Balkendiagramm zur visuellen Darstellung der Befragung von Hajek nach der Wichtigkeiteiner Fraue Bundespräsidentin 2028.

Immerhin gibt es ein paar gute Neuigkeiten für die queere Community: Mit Gebi Mair (Grüne) trat erstmals ein offen homosexueller Spitzenkandidat bei einer Landtagswahl an, mit dem Blogger Gerald Grosz ebenso bei der Bundespräsidentenwahl. Diese Tatsache schien für keine größere mediale Aufregung gesorgt zu haben. Glücklicherweise scheint also die sexuelle Orientierung der Kandidat*innen nicht besonders wichtig für die Wähler*innen zu sein. Dennoch können diese zwei Kandidaten eine Vorbildfunktion gerade für junge Menschen haben, die sich ggf. besser mit einer*m homosexuellen Kandidat*in identifizieren können.

Von Sarah C. Dingler und Lore Hayek, Institut für Politikwissenschaft

Sarah C. Dingler ist Assistenzprofessorin für empirische Geschlechterforschung. Lore Hayek ist Assistenzprofessorin für österreichische Politik und politische Bildung. Beide forschen und lehren am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck.

Quellen:

1 Siehe auch: Dingler, Sarah C. & and Kroeber, Corinna. (2018). Warum sich der Gender Gap durch den Reißverschluss nicht schließen lässt. Eine Analyse der Repräsentation von Frauen im österreichischen Nationalrat. JBZ Arbeitspapiere 46.

2 Siehe Thür, Martin. 2015. Vorzüglich. Abrufbar unter https://www.martinthuer.at/2015/07/vorzueglich/. Zuletzt abgerufen 13.10.2022.

3 Hayek, Lore, & Russmann, Uta (2022). Those who have the power get the coverage – Female politicians in campaign coverage in Austria over time. Journalism, 23(1), 224–242. https://doi.org/10.1177/1464884920916359

4 Hajek, Peter (2022): Ergebnisse ATV-Wahltagsbefragung. Peter Hajek Public Opinion Strategies/ATV, https://www.peterhajek.at/2022/10/10/ergebnisse-atv-wahltagsbefragung-2/

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