Text von Clara Sophie Bitter

Triggerwarnung: In dem folgenden Text wird das Thema Gewalt behandelt, welches bei einigen Menschen negative oder unangenehme Reaktionen hervorrufen kann. Bitte achten Sie auf sich.
Vom 25. November bis zum 10. Dezember finden seit 1992 auch in Österreich die 16 Tage gegen Gewalt an Frauen* statt. Aber wieso eigentlich und wieso in genau diesem Zeitraum?
16 Tage gegen Gewalt an Frauen*
Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen* und geht historisch auf die Entführung, Vergewaltigung, Folterung und Ermordung der Schwestern Mirabal durch Militärangehörige in der Dominikanischen Republik im Jahr 1960 zurück.1
Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. In dieser Erklärung wurden die Grundsätze der Gleichheit und Nicht-Diskriminierung festgelegt, was auch das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit unabhängig der Geschlechtszugehörigkeit beinhaltet.2
Diese beiden Tage bilden den Rahmen der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen*, welche weltweit beispielsweise von Frauen*initiativen, Organisationen und Politik dazu genutzt werden, auf das Recht auf ein gewaltfreies Leben aufmerksam zu machen. In diesem Zeitraum finden Aktionen und Demonstrationen statt, auf welchen auf geschlechtsspezifische Gewalt und deren Ursprung in verschiedenen Aspekten des gesellschaftlichen und politischen Systems hingewiesen wird.1 Gleichzeitig geht es hier aber nicht nur um Gewalt an Frauen*, sondern auch um Gewalt gegen inter*geschlechtliche, non-binäre* und (andere) trans*geschlechtliche Personen. Die Aktionstage inkludieren demnach mehrere Geschlechter, da sie aber unter dem Namen 16 Tage gegen Gewalt an Frauen* breiter gesellschaftlich etabliert sind, wird dieser Name oftmals beibehalten.
Patriarchale Gewalt
Gewalt gegen Frauen*, inter*geschlechtliche, non-binäre* und (andere) trans*geschlechtliche Personen entsteht vorrangig durch eine geschlechtsspezifische gesellschaftliche Sozialisierung, die wiederum eingebettet in gesellschaftliche Strukturen/Verhältnisse ist. Anhand von Geschlechternormen lernen wir von klein auf, uns in der Gesellschaft zu bewegen. Manche Verhaltensweisen werden gesellschaftlich für ein Geschlecht als angebracht und erwünscht gesehen, für ein anderes Geschlecht wiederum nicht. Ein Beispiel ist hier der Umgang mit Emotionen. Impulsives und aggressives Verhalten ist gesellschaftlich eher Männern zugesprochen, im Gegensatz dazu ist der offene Umgang mit Traurigkeit und Verletzlichkeit Frauen* vorbehalten. Viele dieser Sozialisierungsprozesse geschehen auf einer unbewussten Ebene und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Diese geschlechtsspezifische Sozialisierung hat ihren Ursprung auch heute noch in einer patriarchalen Hierarchisierung der Geschlechter. Diese aus dem Patriarchat hervorgehende Geschlechtersozialisation prägt den Umgang miteinander. Bei dem Patriarchat handelt es sich um die seit Jahrhunderten bestehende gesellschaftliche Geschlechterordnung, in welcher Cis*-Männer die Entscheidungs- und somit auch Handlungsmacht über sich selbst und auch die anderen Geschlechter haben, was zu einer Unterdrückung der anderen Geschlechter führt. Diese im Umgang mit Emotionen unterschiedlich erlernte und gesellschaftlich zu oft legitimierte Reaktion auf schwierige Situationen hat als Konsequenz mitunter männliche Gewaltbereitschaft, vor allem auch männliche, patriarchale Gewalt gegen andere Geschlechter.
Gewalt gegen Frauen*, inter*geschlechtliche, non-binäre* und (andere) trans*geschlechtliche Personen
Alleine in Europa ist jede fünfte Frau* ab dem 15. Lebensjahr sexualisierter und/oder körperlicher Gewalt ausgesetzt, sogar jede dritte Frau* sexueller Belästigung. In Österreich wurden 2020 über 20.000 Opfer familiärer Gewalt von Interventionsstellen und Gewaltschutzzentren betreut. 91% der Gefährder waren männlich, circa 81% der unterstützten Personen waren weiblich*. Die Dunkelziffer wird deutlich höher geschätzt, da es nicht allen Personen möglich ist, Hilfe aufzusuchen. Zusätzlich wurden über 1.500 Frauen* mit ihren Kindern in Frauenhäusern betreut.3 Diese Zahlen machen deutlich, dass es sich dabei nicht um familiäre Einzelfälle handelt, sondern die patriarchale Gesellschaftsordnung die Grundlage für Gewalt gegen Frauen* und andere nicht-cis*-männliche Personen bildet.
Die Ermordung von Frauen*, inter*geschlechtlichen, non-binären* und (anderen) trans*geschlechtlichen Personen durch eine Person aus dem näheren Umfeld ist das höchste Ausmaß dieser patriarchalen Gewalt und wird Femizid genannt. In Österreich gibt es bisher keine staatlichen Statistiken hierzu. Im Jahr 2021 wurden in Österreich 31 Frauen* von engen Bezugspersonen, meist ihren (Ex-)Partnern oder Familienmitgliedern, ermordet (Stand 20.12.2021).4 Medial und auch politisch werden diese Morde oftmals unter abschwächenden Bezeichnungen, wie Beziehungsdrama oder Familientragödie, verhandelt. Diese Darstellung unterstützt das Bild von sogenannten Einzelfällen und verschleiert die Grundlage dieser Gewalttaten im Patriarchat. Natürlich gibt es noch andere Faktoren, die den Umgang der Geschlechter miteinander beeinflussen. In anderen Beiträgen auf diesem Blog werden wir darauf näher eingehen.
Was also kann getan werden, um das System patriarchaler Gewalt zu durchbrechen und die Gesellschaft zu einem freieren und sichereren Ort für alle Menschen zu machen? Ein Ansatz ist sicher der Ausbau der Gewaltschutzeinrichtungen und Frauenhausplätze, um schutzbedürftige Personen akut, aber auch längerfristig, unterstützen zu können. Gleichzeitig handelt es sich bei solchen Maßnahmen immer nur um eine Symptombekämpfung. Viele aktivistische Gruppierungen sowie viele Geschlechterforscher*innen, sehen einen der zentralsten Ansätze in der Sensibilisierung von (jungen) Männern. Ein Beispiel hierfür ist die Kampagne zu Gewaltprävention Mann spricht’s an! des österreichischen Sozialministeriums.5 Grundsätzlich ist ein Umdenken, Umlernen und Umordnen der Geschlechterverhältnisse, der Geschlechterrollen und der Geschlechternormen und eine Transformation vergeschlechtlichter struktureller Ungleichheiten für eine Gesellschaft abseits der patriarchalen Ordnung unumgänglich. Und das können wir nur alle gemeinsam erreichen. Mit dem FUQS-Blog wollen wir einen Teil dazu beitragen.
Anmerkungen:
In diesem Beitrag wird der Genderstern bei dem Begriff Frau* verwendet. Es gibt grundsätzlich sehr unterschiedliche Gründe, diesen zu verwenden oder auch nicht. In diesem Fall wurde sich aus zwei Gründen für eine Verwendung entschieden. Zum einen, da es bei patriarchaler Gewalt um eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt handelt, die sich gegen als Frauen* gelesene Personen wendet. Zum anderen soll im Sinne eines intersektionalen Feminismusverständnis durch den Genderstern gekennzeichnet werden, dass es sich bei Frauen* nicht um eine homogene Gruppe handelt, sondern durch das Zusammenspiel verschiedener intersektionaler Differenzkategorien Frauen* eine sehr heterogene Gruppe sind, die auch in sich noch einmal unterschiedlich stark von Gewalt betroffen sein kann.
Wieso schreiben wir in diesem Beitrag von „non-binären* und (anderen) trans*geschlechtlichen Personen“? Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wie der trans*-Community ist so wie viele andere Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen eine sehr subjektive. Manche non-binäre* Personen identifizieren sich als trans*geschlechtlich, andere nicht. Aus diesem Grund haben wir für eine möglichst inklusive Schreibweise das Wort „andere“ in Klammern gesetzt.
Quellen:
1 Autonome Österreichische Frauenhäuser. 16 Tage gegen Gewalt an Frauen. Zugriff 20.12.2021 https://www.aoef.at/index.php/16-tage-gegen-gewalt
2 Österreichische UNESCO-Kommission. Internationaler Tag der Menschenrechte. 2021. Zugriff 20.12.2021 https://www.unesco.at/presse/artikel/article/internationaler-tag-der-menschenrechte
3 Autonome Österreichische Frauenhäuser. Zahlen und Daten. 2021. Zugriff 20.12.2021. https://www.aoef.at/index.php/zahlen-und-daten
4 Autonome Österreichische Frauenhäuser. Mutmaßliche Femizide durch (Ex-)Partner oder Familienmitglieder oder durch Personen mit Naheverhältnis zum Opfer 2021 laut Medienberichten. 2021 Zugriff 20.12.2021. https://www.aoef.at/images/04a_zahlen-und-daten/Frauenmorde_2021_Liste-AOEF.pdf
5 Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Gewaltprävention: Mann spricht’s an! 2021. Zugriff 20.12.2021 https://www.sozialministerium.at/Themen/Soziales/Soziale-Themen/Geschlechtergleichstellung/Gewaltpraevention/mannsprichtsan.html