Text von Felix Lene Ihrig

Der „Pride Month“ steht vor der Tür. Und damit eine Zeit, in der sich viele Firmen und Institutionen mit Regenbogenfahnen schmücken, Vielfalt zelebrieren und auf Gleichbehandlung hinweisen. Eine Zeit, in der queere Menschen scheinbar sorglos sichtbar sein können. Eine Zeit, in der ich an die „Toiletten-Debatte“ an unserer Uni im Januar1 zurückdenke und mich frage… wäre jetzt nicht ein guter Moment, dieses Thema noch einmal aus der Schublade zu holen und in Ruhe zu klären, warum wir gerade 2023 ganz besonders darüber diskutieren müssen?!
Für mich beginnt die Geschichte im Mai 2019, als teilnehmende Person bei einer Sitzung der Studierendenvertretungen mit dem damaligen Rektorat. Es steht die Frage im Raum, wann die Universität Innsbruck der neuen Gesetzeslage gerecht wird und in ihren Formularen (ob digital oder analog) neben männlich und weiblich auch weitere Geschlechtsangaben ermöglicht. Daran anschließend wird besprochen, ob dem gesellschaftlich schon immer vorhandenen und nun auch gesetzlich verankerten Umstand, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, auch räumliche Taten folgen werden. Das Rektorat verspricht, die Formulare anpassen zu lassen damit aber „auf die Umsetzanleitung des BMBWF“ [Anm. d. R.: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung] zu warten und „wo möglich, auch die Toiletten für alle zugänglich zu machen“ (Ich zitiere hier wörtlich aus dem Sitzungsprotokoll, welches nicht öffentlich zugänglich ist, gewähre auf Anfrage aber gerne Einsicht).
Inzwischen sind vier Jahre vergangen und es sind laut Angaben der Universität vier All-Gender Toiletten verfügbar – von insgesamt ca. 200 Toiletten an vier von 16 Uni-Standorten.2 Wie im Leitfaden der Bundes-ÖH vorgeschlagen, wäre zumindest eine Toilette pro Standort und bei größeren Standorten eine pro Stockwerk angebracht, damit diese für alle Menschen in einer erreichbaren Distanz liegt.3
Doch für wen sind denn jetzt eigentlich diese All-Gender Toiletten? Die räumliche Trennung öffentlicher Toiletten nach Geschlecht wird allgemein mit Sicherheitsbedürfnissen begründet. Und auch wenn die Geschichte des Patriarchats dieser Argumentation insofern recht gibt, als dass Frauen häufig unter der Gewalt von Männern leiden; so passiert dies doch selten in öffentlichen, sondern meist in privaten Räumen, nämlich dem eigenen Zuhause. Für Menschen, die für andere nicht eindeutig aufgrund äußerer Eigenschaften einem Geschlecht zuzuordnen sind, kann der Gang zur öffentlichen Toilette jedoch tatsächlich zum Sicherheitsrisiko werden. Denn wenn eine Person auf der „Frauentoilette“ nicht weiblich genug aussieht, kommt es immer wieder zu problematischen Interaktionen – von irritierten Blicken, über mehr oder weniger feindselige Hinweise, bis hin zu körperlichen Angriffen oder einem gewaltsamen, ja teilweise sogar sprichwörtlichen „Rauswurf“ aus den Toilettenräumlichkeiten. Dies betrifft nicht nur trans oder inter Personen, sondern auch cis Personen, die gender-nonkonform sind. Also beispielsweise Frauen, die aufgrund ihrer Kleidung und Frisur als maskulin wahrgenommen werden.
In einer Metaanalyse konnte Lagos zeigen, dass besonders in den letzten 30 Jahren immer mehr Menschen vor sich selbst und anderen dazu stehen, trans oder gender-nonkonform zu sein und von mindestens einem Prozent der Bevölkerung ausgegangen werden kann, bei jüngeren Generationen eher mehr.4 Statistisch betrachtet bedeutet das für die Universität Innsbruck, dass, wenn wir nur vom Minimum ausgehen, ca. 300 Student*innen und ca. 60 Mitarbeiter*innen trans oder gender-nonkonform sind. Vier Toiletten an einem Viertel der Universitätsstandorte scheinen mir da ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein. Die Universität Wien hat übrigens etwa doppelt so viele Angestellte und drei Mal so viele Studierende, aber mindestens 25 All-Gender-Toiletten, von denen die meisten auf der Homepage der Universität gelistet sind.5 Leider verteilen sich diese auch nur auf etwa ein Drittel der 60 Standorte.
Natürlich brauchen und wollen nicht alle trans und inter Personen geschlechtsneutrale Toiletten, ebenso wie nicht alle cis Frauen und cis Männer unbedingt eine geschlechtergetrennte Toilette bevorzugen. Doch das ist eben das wunderbare an der Option All-Gender Toilette: Sie steht allen Menschen offen und soll geschlechtergetrennte Toiletten nicht ersetzen, sondern eine zusätzliche Alternative bieten. Jede All-Gender Toilette bedeutet also mehr Auswahl für alle.
Die Geschlechtertrennung auf Toiletten als Sicherheitsmaßnahme zu betrachten, bedeutet, der Diskriminierung all jener, die nicht maskulin oder feminin genug aussehen, den Weg zu ebnen. Und das ist in Zeiten, in denen in einigen US-amerikanischen Staaten Gesetze erlassen werden, die trans Personen von öffentlichen Toiletten ausschließen, ihnen medizinische Transitionsmaßnahmen (also auch die Veränderung ihres Aussehens) verweigern oder gender-nonkonforme öffentliche Aufritte (z.B. in Form von Drag Shows) verbieten, höchst beunruhigend. Leider werden ähnliche Diskussionen im deutschsprachigen Raum derzeit ebenfalls geführt, weswegen trans und gender-nonkonforme Personen auch in Österreich Diskriminierung oder der Angst davor zunehmend ausgesetzt sind.
Eine vermeintlich neutrale Haltung zu wahren, wenn es um gesellschaftliche Normen geht, bedeutet der Macht normativer Vorstellungen die Hintertür zu öffnen und besonders marginalisierte Personen zusätzlichem Stress und Angst vor Diskriminierung auszusetzen.6,7 Neben dem Anspruch, ein Ort des kritischen Denkens zu sein, steht gleichberechtigte Teilhabe ganz oben auf der Liste der Ideale einer Universität.8 Geschlechternormen zu hinterfragen und Toilettenregelungen neu zu konzipieren, würde also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Zusätzliche Informationen:
Die Erfahrungen und Verortungen von trans Personen sind äußerst vielfältig. Trans wird von mir als Überbegriff benutzt, welcher alle Menschen einschließt, deren Geschlecht nicht (ausschließlich) jenem entspricht, das ihnen bei Geburt zugewiesen wurde. Das inkludiert in diesem Fall auch nichtbinäre, genderqueere oder agender Personen, auch wenn diese in ihrer Selbstidentifikation den Begriff trans nur teilweise nutzen. Mehr über verschiedene Geschlechtsidentitäten findet sich im Glossar des Queerlexikons.
Einige der angeführten Informationen entstammen einem Vortrag zu „genderqueerer Sensibilität an der Uni“, den ich im November 2022 an der Universität Innsbruck in Kooperation mit dem Green Office und dem Queeren Chaos Kollektiv gehalten habe. Vor und nach diesem Vortrag habe ich Gespräche mit trans, inter, nichtbinären und gender-nonkonformen Personen an Innsbrucker Universitäten geführt, und sie nach ihren Erlebnissen gefragt. Viele berichteten von Diskriminierungserfahrungen, auch in Bezug auf Toiletten.
Quellen:
1 Uni Innsbruck (25. Januar 2023) Tweet zu All-Gender Toiletten, abrufbar unter https://twitter.com/uniinnsbruck/status/1618271756036493312 (Zugriff am 22.05.2023)
2 Universität Innsbruck (aktualisiert am 20. Februar 2023)Standorte All-Gender Toiletten https://www.uibk.ac.at/universitaet/diversitaet/vielfalt/standorte-all-gender-toiletten.html (Zugriff am 22.05.2023)
3 Bundes-ÖH (Datum unbekannt) Queer-Referat.https://www.oeh.ac.at/queer (Zugriff am 22.05.2023)
4 Garrett-Walker, J.-J. & Montagno, Michelle J. (2021): Queering labels:
Expanding identity categories in LGBTQ + research and clinical practice, Journal of LGBT Youth.
5 Universität Wien (Datum unbekannt). Genderneutrale Toilettenanlagen https://studieren.univie.ac.at/studieren-und-leben-wen-frage-ich-bei/student-space/all-gender-wc/ (Zugriff am 22.05.2023)
6 Baams, L., Grossman, A. H., & Russell, S. T. (2015). Minority stress and mechanisms of risk for depression and suicidal ideation among lesbian, gay, and bisexual youth. Developmental psychology, 51(5), 688–696.
7 Hsieh, N. Shuster, S. (2021) Health and Health Care of Sexual and Gender Minorities. Journal of Health and Social Behavior, 62:3, 318-333.
8 Scott, Joan W. (2022). What Kind of Freedom Is Academic Freedom? In: Critical Times 5(1),1-19