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Alltag

Sexualität in der Krise

Text von Felix Lene Ihrig

Auf einem rosafarbenen Untergrund liegen ein Post-It mit der Aufschrift "i miss u" und zwei Sextoys.
Photo by Anna Shvets on Pexels.com

Unter den Distanzierungsmaßnahmen der letzten zwei Jahre haben nicht nur Arbeit oder Kinder gelitten, sondern auch Tabuthemen, wie Sexualität. Welche Auswirkungen hatten die Pandemie auf die Sexualität der Österreicher*innen? Barbara Rothmüller von der Sigmund-Freud-Universität Wien hat einige Veränderungen der letzten zwei Jahren erforscht.

Das Pandemiegeschehen hatte auf Österreicher*innen sehr unterschiedliche Auswirkungen. Je nach Lebenssituation und Phase der Pandemie konnten manche ihre Beziehungen intensivieren, viele allerdings erlebten Isolation oder Lustlosigkeit. Das betraf vor allem alleinwohnende Menschen und queere Personen.

Ein gravierender Unterschied zeigt sich zwischen Personen, die mit ihren Partner*innen zusammenwohnen und jenen, die getrennt wohnen. Denn aufgrund von Kontaktbeschränkungen und Grenzschließungen, mussten räumliche getrennte Paare längere Phasen der Einsamkeit und Enthaltsamkeit hinnehmen. Besonders im ersten Lockdown hatte ein Viertel der Befragten weniger Kontakt zu ihren (Sexual-) Partner*innen. Wer zusammenwohnte hatte hingegen mehr Kontakt, was anfangs die Intimität verbesserte. Im zweiten Lockdown hatten zusammenlebende Paare jedoch mehr Konflikte. Das und die Stresssituation der Pandemie, führten bei ca. sechzig Prozent zu weniger Zeit und Lust für Sexualität.

Für Singles erschwerten die Kontaktbeschränkungen das Datingleben und damit die Möglichkeit für Sexualität. Die rechtliche Vorgabe, sich nur mit bisher schon „engen Kontaktpersonen“ zu treffen, bezeichnet Rothmüller als „Tinder-Erlass“, denn potentielle Partner*innen zählten nicht zu dieser Personengruppe. Es wurde also mehr digital kommuniziert bevor persönliche Dates stattfanden. Zwischen dem ersten und zweiten Lockdown gingen fast ein Drittel der Befragten eine neue Beziehung ein. Möglicherweise hat dies auch mit der Angst zu tun, weiterhin auf Intimität verzichten zu müssen.

Denn im zweiten Lockdown berichteten über die Hälfte der befragten Singles, dass ihre letzte Umarmung über drei Monate zurückliege, von Sexualität ganz zu schweigen. Wenn Menschen wenig körperliche Nähe erfahren, sprechen Expert*innen von Berührungsdeprivation, was negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Gerade in einer Pandemie ist die Möglichkeit für eine Umarmung (oder mehr) also essentiell. Doch das ist zunehmend schwieriger, da neunzig Prozent der Befragten angaben, sie hätten ein „neues Gefühl für Distanz“ entwickelt.

In einigen internationalen Presseaussendungen von Regierungen oder Gesundheitsorganisationen war sogar von Vorzügen des „Solosex“ oder digitalem Sex die Rede, da bei sexuellen Aktivitäten alleine keine Ansteckungsgefahr bestehe. Ebenso wurde die monogame Beziehung gelobt, da die Ansteckungsgefahr dann zumindest auf eine gleichbleibende Person beschränkt bleibt. Meist war dabei von Ehepaaren oder Eltern die Rede und andere Beziehungsformen wurden kaum erwähnt. Rothmüller spricht diesbezüglich von einer „Moralisierung der Sexualität“. Diese moralische Bevorzugung heterosexueller, monogamer Personen zeigte sich für queere Menschen in Form von Diskriminierung. Dies traf vor allem gleichgeschlechtliche Paare bzw. Personen in Mehrfachbeziehungen. Viele berichteten, sich von den Regelungen ignoriert zu fühlen und verspürten einen starken Druck, ihre Beziehungsform zu verstecken. So hatten 45% der Personen in offiziell-polyamourösen Beziehungen nur noch Kontakt zu einer Person, statt wie sonst zu mehreren Partner*innen. Manche gleichgeschlechtlichen Paare mussten bei Spaziergängen unverhältnismäßige Polizeikontrollen über sich ergehen lassen und beweisen, ein Paar zu sein. Doch für manche hatte die veränderte Wahrnehmung von Sexualität auch etwas Positives: 16% der Befragten waren erleichtert, dass aufgrund der Pandemieregelungen niemand ein Sexleben von ihnen erwartete. Das berichteten einerseits Singles aber auch aromantische und asexuelle Personen.

Inzwischen, einige Lockdowns später, berichten Psycholog*innen von einem Anstieg psychischer Belastungsreaktionen. Viele Menschen haben die letzten zwei Jahre müde und mürbe gemacht. Auch von veränderten Prioritäten und neuen Lebensschwerpunkten berichten viele Menschen, so auch in der Studie von Rothmüller. Beispielsweise haben einige Menschen ihre Identität überdacht und in den letzten zwei Jahren ein Coming-Out gehabt. Es bleibt also spannend, welche Auswirkungen der Pandemie auf Sexualität sich erst in den nächsten Jahren zeigen werden. Die beiden letzten großen Pandemien (HIV seit den 1980ern, Spanische Grippe vor den „wilden 1920ern“) jedenfalls haben diesbezüglich einiges verändert.

Veranstaltungstipp:

Passend zum Thema gibt es diese Woche eine Veranstaltung in Innsbruck: das Porn.Film.Fest, organisiert von der AMSA (Austrian Medical Students‘ Association). Dabei sollen Sexualität und Pornografie möglichst vielfältig und alternativ re_präsentiert und diskutiert werden. Dabei soll vor allem Platz für Themen wie z.B. Feminismus, Konsens oder Geschlechtsidentität sein. Es wird Filmvorführungen im Leokino und in der Bäckerei geben. In der Bäckerei gibt es außerdem Workshops, z.B. zu Sexarbeit oder Vulven, die den gesellschaftlichen Diskurs über Sexualität anstoßen wollen. Das ganze Programm gibt es hier.

Quellen:

Rothmüller, B. & Wiesböck, L. Intimität, Sexualität und Solidarität in der COVID-19 Pandemie. Bericht über erste Ergebnisse. Wien: Sigmund Freud Privatuniversität, 2021.

Rothmüller, B. Intimität und soziale Beziehungen in der Zeit physischer Distanzierung. Ausgewählte Zwischenergebnisse zur COVID-19-Pandemie. Wien: Sigmund Freud Privatuniversität, 2020.

Rothmüller, B. „The grip of pandemic mononormativity in Austria and Germany.“ Culture, Health & Sexuality, 23:11 (2021), 1573-1590.

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